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Stärkung der Resilienz in Mittelstädten (SRMS)

Im Rahmen der Modellregion Oberlausitz-Niederschlesien zum demografischen Wandel wurden Fragen der Demographie auf eine neuartige Untersuchung zur Regionalentwicklung gelenkt, indem sie aus der Perspektive von Vorstellungswelten thematisiert wurden.

Damit wurde eine neue Dimension in die sächsische und deutsche Beschäftigung mit dem demographischen Wandel hineingetragen und gleichzeitig innovative Ansätze und Ideen aus der Region weiterentwickelt. Leitziel war eine wissenschaftliche Betrachtung zu neuen Einflüssen auf die Regionalentwicklung in vom demografischen Wandel besonders betroffenen Regionen.

Informationsaustausch regionaler Akteure
15.09. – 31.12.2014

Im Rahmen der Modellregion Oberlausitz-Niederschlesien zum demografischen Wandel wurden Fragen der Demographie auf eine neuartige Untersuchung zur Regionalentwicklung gelenkt, indem sie aus der Perspektive von Vorstellungswelten thematisiert wurden.

Damit wurde eine neue Dimension in die sächsische und deutsche Beschäftigung mit dem demographischen Wandel hineingetragen und gleichzeitig innovative Ansätze und Ideen aus der Region weiterentwickelt. Leitziel war eine wissenschaftliche Betrachtung zu neuen Einflüssen auf die Regionalentwicklung in vom demografischen Wandel besonders betroffenen Regionen.

Das Vorhaben wurde gefördert von der Sächsischen Staatskanzlei im Rahmen der Förderrichtlinie zur Förderung von Maßnahmen für die Bewältigung des demografischen Wandels (FRL „Demografie“) sowie der Stiftung der Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien durch Vermittlung des Landkreises Görlitz.

Bitte finden Sie hier den Bericht als download.

Matthias Theodor Vogt, Frank Feuerbach, Kai Kranich, Veronika Valvodová im Zusammenwirken mit Erik Fritzsche, Wolfgang Zettwitz und anderen: Bericht über das Dialogprojekt »Stärkung der Resilienz in Mittelstädten – Informationsaustausch regionaler Akteure (SRMS)«. Görlitz , 11. Januar 2015

Bitte finden Sie hier ein Interview zum Ausbluten der Mittelstädte, Sächsische Zeitung, 22.01.2015, Matthias Theodor Vogt im Gespräch mit Frank Seibel: Wir müssen Anreize setzen.

Agglomeritis als europaweites Phänomen

Die Stabilität vor allem kleinerer und mittelgroßer Städte ist durch eine zu wenig untersuchte Seitenlinie des demografischen Wandels bedroht: die Abwanderung gut ausgebildeter junger Mitbürger, insbesondere von Frauen, in die Agglomerationen. Dies führt in den anderen Landesteilen (den non-agglomerations) zu einem empfindlichen Verlust von Funktionseliten (den driving actors). Dieser Verlust hat gravierende Auswirkungen auf unternehmerische Kompetenz und soziale Kohäsion und damit wiederum auf die Fähigkeit von Städten und Regionen, erstens selbsttragende soziale und wirtschaftliche Strukturen zu entwickeln und zweitens demokratiefähig zu bleiben. Durch den Jugend- und Akademikerüberschuss der Metropolen gerät die sog. Provinz ins Hintertreffen. Ein Land kann sich jedoch nur dann sozial, wirtschaftlich und politisch stabil entwickeln, wenn auch von der Fläche Innovationsimpulse ausgehen – Hägerstrand ist aktueller denn je.

Vorstellungswelten

Das Phänomen, das sich als Agglomeritis bezeichnen ließe, ist primär eine Frage der Vorstellungswelt. In Mitteleuropa kämpfen Mittelstädte (20.000 bis 99.000 Einwohner) mit schwindender Attraktivität nicht primär auf Grund infrastruktureller, wirtschaftlicher und oder demographischer Probleme. Vielmehr haben sie dem Versprechen der Metropolen (größer 500.000 Einwohner) auf ein zeitgemäß-jugendgerechtes Leben nichts oder wenig entgegen zu setzen. Objektiv betrachtet, ist demgegenüber Hans Magnus Enzensbergers „Neuer Luxus“ von Lärmfreiheit, Engefreiheit, Smogfreiheit etc. nur außerhalb der Agglomerationen zu finden. Der für die zwischenmenschliche Kommunikation entscheidende semi-öffentliche Raum ist gerade hier besonders ausgesprägt. Insofern läßt sich ein scharfer Kontrast zwischen subjektivem Empfinden und objektiven Faktoren konstatieren.

Dieser Kontrast spielt dem auf Großstädte konzentrierten Dienstleistungssektor in die Hände. Er basiert auf den Skalenerträgen von Menschenballungen, wie dies im 19. und frühen 20. Jahrhundert bei der Industrialisierung der Fall gewesen war. Die Kunst hatte wesentlich zur Ausprägung positiv besetzter Großstadt-Vorstellungswelten beigetragen.

Die negative Vorstellung von einem Leben und Arbeiten auf dem Land hat unmittelbare Auswirkungen auf den Haushalt des Freistaates Sachsen. Die Nachwuchslehrer drängen in die Großstädte und meiden das Land, meldet die Sächsische Zeitung Dresden am 25.07.2014. „Wir sind wirklich erstaunt über die geringe Bereitschaft, außerhalb der Ballungszentren eine Anstellung anzunehmen“, sagte der Sprecher des Kultusministeriums am 24.07.2014. Selbst die Aussicht auf einen unbefristeten Job können die jungen Lehrer nicht überzeugen. Darauf habe man Antworten finden müssen. Für ein entsprechendes Stipendienprogramm à 300 EUR/Monat sind im Doppelhaushalt 2015/16 600.000 Euro eingeplant. Eine ähnliche Situation ergibt sich nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bei den Medizinern.

Gängige Parameter der Raumplanung

Die Modellregion OL-NSchl hatte am 4.7.2014 im Ausblick als wichtige Themen benannt:

In diesem Katalog spielen Vorstellungswelten keine zentrale Rolle.

Kulturpolitik-wissenschaftlicher Ansatz

Künftig sollte der Katalog daher ergänzt werden um die Frage, inwiefern Musik, Theater, Tanz und die schönen Künste mittelgroßen Städte Chancen bieten, positiv besetzte Vorstellungswelten auch für sie zu modellieren und so dem brain drain entgegenzuwirken, um junge Funktionseliten an sich binden zu können.

Die Metropolen sind heute auch in Kunst und Kultur Dreh- und Angelpunkt, sowohl als Orte wichtiger Bewahrungs- und Aufbewahrungsinstitutionen wie dies auch früher der Fall war, auch als Innovationszentren wie dies in den Künsten jedoch keineswegs die historische Regel ist. Auch hieran ist anzuknüpfen.

Die Zielfrage ist: Wie sieht eine erneuerte Kulturpolitik aus, die sich von den Vorgaben des 19. und 20. Jahrhunderts löst und sich in den Dienst der Bewälitgung des demographischen Wandels stellt? In welchem Verhältnis steht sie zu anderen Politikfeldern? Welche Rolle kann, sollte oder muss Kulturpolitik in der Interaktion mit der Regionalentwicklung leisten?

Fazit

Kultur nicht weiterzugeben und nicht zu vermitteln – beispielsweise durch das Fehlen lokaler Eliten – kann in erheblichem Maße zu Abwärtsspiralen führen. Es sollte darum innerhalb der Raumplanung begriffen werden, daß die Künste nicht nur eine Zier und nicht nur ein wesentlicher Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit sind. Kultur ist jener Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält und zu dem macht, was sie ist. Die Künste sind das Medium der Kultur. Kulturpolitik benötigt dementsprechend einen hohen Stellenwert in der Politik. Exemplarisch wird dies deutlich an den teils problematischen Vorstellungswelten der Oberlausitzer Jugend und fehlender oder problematischer regionaler Identität, die in den Akteursinterviews zugange traten.

Kultur ist elementar für Resilienz, denn sie fördert geistige Offenheit (Variabilität), vermindert die Abhängigkeit von Althergebrachtem und wirkt einem innovationsgefährdenden Mainstreaming entgegen (Diversität). Sie fördert Sozialkapital, läßt die Dinge im Überkommenen wurzeln und versichert gegen Innovationsgötzentum und Hyperinnovation. Sie gesellt zum gefährlichen Effizienzdogma andere Beurteilungskriterien für ein gelingendes Leben: Muße, Entschleunigung, nützliche Redundanz. Dadurch wiederum wird es möglich, Schrumpfungsprozesse auch als Chance zu sehen, statt – entsprechend dem Leitnarrativ der Moderne vom immerwährenden Wachstum – nur einen Abstieg zu sehen. Damit bringt Kultur auch die Frage nach den Zielgrößen von Politik auf das Tapet: Dies ist seit der Antike die eigentliche politische Frage.

Es ist darum nicht ausgeschlossen, daß der ländliche Raum, insbesondere die innovativen Mittelzentren, für die Gesamtgesellschaft zu einem wichtigen Laboratorium von ‚wachstumsindifferenten‘ Formen des Zusammenlebens werden könnte. Kultur ist hier insofern zentral, als sie ja gerade die Vorstellungswelten und Narrative liefern könnte, das gute Leben in anderen als den üblichen Wachstumsprozessen zu sehen.

Es bedarf daher einer Strategie zur Entwicklung von Kultur als Standort- und Resilienzfaktor. Besonderes Augenmerk hat hierbei auf der ‚Aktivierung‘ und der Anerkennung der zivilgesellschaftlichen Potentiale bzw. Leistungen zu liegen.

Dabei geht es auch darum, erst einmal (wieder) sichtbar zu machen, daß Kultur als politischer Acker in den Kommunen systematisch bestellt werden kann und bestellt werden sollte. Dies wäre die Voraussetzung für wünschenswerte Strategiekonzepte auf lokaler Ebene. Hierzu scheint besonders geeignet, Beispiele guter Praxis zu versammeln. Praxis läßt sich nur durch Praxis ersetzen. Vielleicht wird dann auch erkennbar, was der Kommerzialisierung der Jugendkultur entgegenzusetzen ist.

Ganz Sachsen profitiert von einem erstarkenden sogenannten Ländlichen Raum (gemeint ist das im übrigen wesentlich urban geprägte Territorium der Landkreise) mit seinen zwei Dritteln der sächsischen Bevölkerung.

Konkret sei daher vorgeschlagen, in den vier Doppelhaushaltsjahren 2015/16 und 2017/18 des Freistaates Sachsen einen entsprechenden Modellversuch „Resilienzstärkung durch Verschränkung von Raum- und Kulturpolitik“ für die ländlichen Räume Sachsens durchzuführen.

Wichtigstes Ergebnis der Dialoge mit den Akteuren ist (a) der dringende Forschungsbedarf für eine umfassendere Untersetzung der Resilienz-Fragestellungen, (b) die Notwendigkeit einer Fortsetzung des Dialoges zwischen Raumpolitik und Kulturpolitik auf staatlicher und kommunaler Ebene im Quadrupel-Ansatz von Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Im Verlauf der Untersuchungen konnte festgestellt werden, daß

  1. Resilienz ein relevanter Ansatz der Regionalentwicklung ist;
  2. zu den bekannten Faktoren der Resilienz in der Regionalentwicklung Kultur als relevantes Thema hinzutritt;
  3. Kultur auf regionaler Ebene in den Sächsischen Kulturräumen bearbeitet wird, dort aber nicht als Beitrag zur Regionalentwicklung aufgefaßt wird;
  4. um die Wirksamkeit der Kultur als Resilenzfaktor zu erreichen, eine unabhängige Basis, auch finanzieller Natur, geschaffen werden muß.

Antizyklisches Handeln gehört zu den vornehmen Aufgaben der Politik. Gut zwanzig Jahre lang hat der Freistaat Sachsen auf die von ihm sogenannten »Wachsturmskerne«, sprich die beiden Metropolststädte Dresden und Leipzig sowie den Großraum Chemnitz-Zwickau-Mosel, gesetzt. Damit hat er parallel zur Entwicklung großurbaner Vorstellungswelten der akademisch gebildeten Jugend gearbeitet. Er hat eine Abstimmung mit den Füßen zulasten des Raumes diesseits einer Gemeindegröße von 100.000 Einwohnern zwar nicht ausgelöst, aber mit erheblichen Mitteln sowohl innerhalb seines freien Budgets wie innerhalb des FAG unterstützt. Bereits nach einer Generation ist die Gleichverteilung lokaler Eliten in eine extrem zu nennende Schieflage geraten.

Literatur

Vogt, Matthias Theodor, Sokol, Jan, Ociepka, Beate, Pollack, Detlef, Mikołajczyk, Beata (Hrsg.): Die periphere Mitte Europas. Schriften des Collegium Pontes II. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main etc. 2009. Dort u.a. Matthias Theodor Vogt: Ubi Leones / Wo nichts als Löwen hausen Zu Begriff und Problem der Peripherizität. [http://kultur.org/vogt2]

Vogt, Matthias Theodor: Ruralität als Chance für das 21. Jahrhundert. In: Gemeinde Gundelsheim (Hrsg.): Morgen ist eine andere Zukunft. Impulse aus Gundelsheim. Dokumentation des Interdisziplinären Fachforums 8. /9. 10.2011. 14-17.
[http://kultur.org/Doi101696/vogt-2011b.pdf]

Vogt, Matthias Theodor, Katarzyna Plebańczyk, Massimo Squillante, Irena Alperyte (editors): Brain Gain through Culture? Researching the Development of Middle Size Cities in Poland, Lithuania, Italy, Hungary, Germany, and France. Proceedings of the International Study Week Görlitz 2012 and of the Students’ Moot Court at the Landgericht Görlitz. Görlitz 2013. Dort u.a. Hauke Hinrichs: Verwaltungsgericht Görlitz 12 K 123456789/12. Urteil vom 28. April 2012 des Verwaltungsgerichtes Görlitz in der Verwaltungsrechtssache des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen gGmbH, Kläger, gegen die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, Beklagte, wegen Projektförderung. [Das Urteil ist fiktiver Natur. Es erging im Rahmen eines Mootcourt des Studienganges Kultur und Management mit freundlicher Unterstützung des Landgerichtes Görlitz]. [http://kultur.org/images//brain_gain_2012_130226.pdf]

Vogt, Matthias Theodor: Kulturland Sachsen – Aufgabe der Kommunen. In: Bildungswerk für Kommunalpolitik Sachsen (Hrsg.): Kulturland Sachsen – Aufgabe der Kommunen. Hoyerswerda, 2012, S. 7-31. [http://kultur.org/Doi101696/vogt-2012d.pdf]

Vogt, Matthias Theodor, Zimmermann. Olaf (Hrsg.): Verödung? Kulturpolitische Gegenstrategien. Beiträge zur Tagung 22./23. November 2013 in Görlitz. Veranstalter: Deutscher Kulturrat und Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen. Edition kulturelle Infrastruktur, Görlitz und Berlin 2013 [www.kulturrat.de/dokumente/veroedung.pdf].
Hier u.a.  Vogt, Matthias Theodor Vogt: Kunst und Kultur als Resilienzfaktoren. Zum aktuellen Stand der Forschung

Vogt, Matthias Theodor: Mittelstädte sind kulturelle Zentren eigener Art. Ihre Förderung am Beispiel des Sächsischen Kulturraumgesetzes. In: Kulturpolitik neu denken – Neue Ansätze in der Kulturförderung. Dokumentation der Kulturkonferenz der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz der Partei Die Linke am 31. Mai 2013 im Pfefferberg in Berlin. Berlin 2014.

Vogt, Matthias Theodor: Entwicklungspfade der Sächsischen Kulturräume. Eine Vorstudie des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen. Dresden und Görlitz, 8. Mai 2014. Hier Seiten 60-62 (Szenario III). [http://www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Studien/Studie_Entwicklungspfade-Kulturraeume_Vogt_2014-05-07.pdf]

Bilanzkonferenz „10 Jahre Modellregion Oberlausitz-Niederschlesien“ 2. Juli 2014 in Bautzen (SK Demographie) siehe http://www.demografie.sachsen.de/download/2014-0207_SK35_Bilanzkonferenz_OL_NS.pdf

Sächsisch-Japanisch-Mittleuropäischer Dialog zur Kulturpolitik
4.-8. September 2014 Berlin – Görlitz – Dresden
http://kultur.org/deutsch-japanischer-workshop-4-8-9-2014
Proceedings in Vorbereitung.