Kulturelle und religiöse Dimension von Nachhaltigkeit in Afrika
Kulturelle und religiöse Dimension von Nachhaltigkeit in Afrika anhand der Länderbeispiele Ghana und Kamerun. Bericht einer Delegationsreise im Februar 2018. Berlin und Görlitz, 05/2018
Teilnehmer:
Günter Nooke, Persönlicher Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin,
Afrikabeauftragter des BMZ;
Prof. Dr. phil. habil. Matthias Theodor Vogt, Kulturpolitikwissenschaft,
Direktor, Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen
Dr. theol. Christine Gühne, Pastorin, Brot für die Welt
Prof. Dr. Brigitta Herrmann, Dipl.-Vwl., Dipl.-Theol., Professur Globalization, Development Policies and Ethics Cologne Business School; Deutsche Kommission Justitia et Pax;
Fred-Eric Essam, IBM Deutschland; Vorsitzender ident.africa e.V.
PDF Delegationsbericht-Nooke-GHA-CMR_deutsch_2018-04-25
« La dimension culturelle et religieuse du développement durable en Afrique : à travers les exemples du Ghana et du Cameroun. Rapport de la mission effectuée en février 2018 » par Günter Nooke, Délégué personnel de la Chancelière fédérale allemande pour l‘Afrique Représentant personnel de la Chancelière fédérale pour l’Afrique, ainsi que Délégué du BMZ (Ministère fédéral de la Coopération économique et du Développement) pour l‘Afrique, et al.
Delegationsbericht-Nooke-GHA-CMR_frz_2018
“Cultural and religious dimensions of sustainability in Africa taking the examples of Ghana and Cameroon”. Report on a delegation journey undertaken in February 2018 by Günter Nooke, German Chancellor’s Personal Representative for Africa, BMZ’s Commissioner for Africa, et al.
Delegationsbericht-Nooke-GHA-CMR_englisch_2018
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zu den beiden Ländern Ghana und Kamerun
- Kernsätze aus den Begegnungen und Gesprächen
- Folgerungen für ein erweitertes und verändertes Paradigma von Entwicklungszusammenarbeit und für eine dementsprechende Praxis
- Handlungsempfehlungen
5.2. Handlungsempfehlung II: Die Starken stärken
Kernbotschaften statt einer Zusammenfassung
Tradition, Kultur und Religion sind zentrale Werteressourcen – besonders in Afrika.
Sie sind entscheidend für das Verständnis gesellschaftlichen Zusammenlebens und die Chancen wirtschaftlicher Entwicklung.
Die unterschiedlichen Situationen in verschiedenen Ländern und Regionen bis hin zur jeweiligen Orts- bzw. Chiefebene müssen je für sich betrachtet und ausgewertet werden.
Generell gilt allerdings: Armut wird heute durch die europäische Brille fast ausschließlich auf der materiellen Ebene wahrgenommen. Doch schon die EG-Minister stellten 1984 eine grundsätzlich gleichrangige kulturelle sowie soziale Armut fest.[1] Um Armut nachhaltig und nicht nur auf der Oberfläche durch pragmatische Herangehensweisen und ökonomische Strategien zu bekämpfen, müssen die für Individuen wie lokale Gemeinschaften existentiellen Tiefen-
dimensionen wahrgenommen und respektiert werden.
Fast überall in der afrikanischen Tradition hat ein Vorgang in der materiellen Welt eine
spirituelle Bedeutung und Entsprechung. Der europäische Weg der Aufklärung und Säkularisierung ist im globalen Maßstab ein Sonderweg und erfordert von uns eine besonders behutsame Annäherung an die Dimensionen von Heiligkeit und kultureller Tradition.
Die Delegation formuliert vier Handlungsempfehlungen für die zukünftige Gestaltung von Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Ländern. Sie sind hier zusammengefaßt und im Text weiter unten ausgeführt:
- Mehr Sensibilität für spirituelle und kulturspezifische Zusammenhänge bei Programmen der Entwicklungszusammenarbeit einschl. entsprechender Ausbildungsmodule für Diplomaten und Mitarbeitern in Entwicklungsprojekten – Wissen dazu vermitteln, Haltungen einüben, eigenen Glauben erkennen lernen und den anderer ernst nehmen.
- Im wirtschaftlichen Bereich die „Starken und Fitten“ auf lokaler Ebene unterstützen und kleine und mittlere unternehmerische Initiativen voranbringen. Durch Stärkung einzelner Strukturen und Unternehmen können endogene Potentiale genutzt und Arbeitsplätze und Wertschöpfungsketten geschaffen
- Stabilisierung lokaler Gemeinschaften durch Bildung von Gemeineigentum – entsprechend der kulturellen Regeln, die keine individuelle Gewinnerzielung ohne Partizipation der Gemeinschaft erlauben – beispielsweise 50% der Unternehmensgewinne für die Gemeinschaft und 50% für die oder den Einzelnen bzw. die Unternehmerfamilie.
- Erarbeitung einer Großausstellung „Kamerun“ zur kulturellen Selbstvergewisserung – in einem mehrjährigen und breit aufgestellten Prozess nichtstaatlicher Akteure erfolgt bei europäischer Beobachtung die Integration und Narration afrikanischer Vielfalt.
Unter Ziffer 3 enthält der Bericht lesenswerte Selbstaussagen; den dort Zitierten sei für ihr Vertrauen und Entgegenkommen gedankt.
1. Einleitung
Günter Nooke reiste als Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin unter dem Titel „Kulturelle und religiöse Dimension von Nachhaltigkeit“ mit einer Delegation aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft im Zeitraum vom 10. bis zum 19. Februar 2018 nach Ghana und Kamerun, um Zusammenhänge von Tradition, Kultur, Religion und endogenen Entwicklungspotentialen besser zu erfassen und zu verstehen. Ziel war es, diese Zusammenhänge und ihre Bedeutung stärker in ein erweitertes und verändertes Paradigma von Entwicklungszusammenarbeit und in eine entsprechende Praxis zu integrieren und damit Impulse für den neuen Schwerpunkt des BMZ und dem GIZ-Sektorvorhaben „Werte, Religion und Entwicklung“ zu liefern.
Tradition, Kultur und Religion sind zentrale Werteressourcen in Afrika und somit auch entscheidend für das Verständnis von wirtschaftlicher Entwicklung und gesellschaftlichem Zusammenleben. Gleichzeitig verkörpern sie auch wesentliche Macht- und Einflussstrukturen. Die Rückmeldung einiger Gesprächspartner, dass zum ersten Mal seit über 20 Jahren jemand zu ihnen gekommen sei, um ihnen einfach nur zuzuhören – ohne Geld, ohne eine Agenda – weist möglicherweise auf ein grundsätzliches Manko der Entwicklungszusammenarbeit in ihrer gegenwärtigen Form hin.
Die hohe Fertilität in beiden Ländern[2] bedeutet, dass ein Arbeitsplätzewachstum von 2 % p.a. einem Nullwachstum pro Kopf entspricht. Steueraufwüchse aus dem nominellen BIP-Wachstum von 3,6 % (Ghana 2016) bzw. 4,5 % (Kamerun 2016) werden zu zwei Dritteln bzw. zur Hälfte von den jährlichen Mehrkosten des Schulsystems etc. in Anspruch genommen. Entscheidende Bedeutung kommt dementsprechend einerseits den endogenen Entwicklungs-Potentialen zu, andererseits den endogenen Risikominimierungs-Potentialen.[3]
Die Gesprächspartner umfassten in beiden Ländern insbesondere traditionelle Autoritäten, die sich als Könige / Chiefs bzw. Queenmothers / reines mères bezeichnen, und leitende Persönlichkeiten aus den Religionsgemeinschaften. Des Weiteren die Staatspräsidenten, politische Verantwortungsträger auf nationaler, Distrikt- und lokaler Ebene (Minister of Chieftaincy and Religious Affairs Ghana bzw. Planungs- und Wirtschaftsminister Kameruns, Gouverneure, Bürgermeisterin, Gender-Beauftragte eines Departements) und hochrangige Vertreter der Zivilgesellschaft aus Wirtschaft, Wissenschaft und von Nichtregierungsorganisationen.
2. Zu den beiden Ländern Ghana und Kamerun
In Ghana wurde durch die Gespräche deutlich, dass sich die bemerkenswerte politische Stabilität des Landes mit mehrfachen friedlichen Machtwechseln wesentlich einer Gewaltenteilung in horizontal angelegten Parallelstrukturen von mehreren Akteurs- bzw. Machtpolen verdankt.
Akteurspol 1: Die staatlichen Ebenen sind zwar im Vergleicht mit Deutschland noch eher schwach ausgebildet, im Vergleich mit den anderen Akteurspolen jedoch stark und von ihnen auch nicht in Frage gestellt.
Akteurspol 2: Die traditionelle Ebene der Könige (seit der Kolonisierung des Landes durch Großbritannien als „chiefs“ bezeichnet; aufgrund zahlreicher Ähnlichkeiten mit dem mittelalterlichen Adelssystem könnte man im Deutschen auch von „Fürsten“ sprechen) verfügt autonom über 80 % der Landesfläche und wird nicht vom Staat subventioniert. Auf nationaler Ebene sind die – vielfach hervorragend ausgebildeten und als selbständige Unternehmer erfolgreichen – Chiefs im National House of Chiefs vertreten. Auf regionaler Ebene gibt es entsprechende Pendants. Die neben den Chiefs stehenden weiblichen Hauptpersonen des traditionellen Systems sind die sogenannten Queenmothers, die weder Ehefrau noch Mutter, sondern eher Patinnen des Chiefs aus derselben königlichen Familie sind. Die Queenmothers stellen die weibliche Repräsentanz am Hof dar und kümmern sich insbesondere um alle Fragen, die Frauen und Kinder betreffen. Eine wesentliche Rolle kommt ihnen bei der Entscheidung über die Nachfolge zu.
Akteurspol 3: Die Religionsgemeinschaften wirken im National Peace Council mediatorisch zusammen, ebenso auch in den Regional Peace Councils und in lokalen Friedensräten. Sämtliche Gesprächspartner waren sich einig, dass alle Menschen in Ghana religiös sind (“You do not have to tell our children who God is – they know it.”). Der Zensus von 2010 gibt für Ghana 5 % Anhänger der traditionellen lokalen Religionen an, knapp 20 % Muslime und 70 % Christen (13 % Katholiken, 18 % Protestanten in den historischen Missionskirchen, 28 % Pfingstkirchen und Charismatische Bewegungen, 11% andere christliche Kirchen – vor allem der Bereich der charismatischen Kirchen wächst enorm). Anders als diese Statistik es vermittelt, gibt es starke synkretistische Überlagerungen auf der individuellen Ebene; ein wesentlicher Teil der Bevölkerung verbindet traditionelle Grundüberzeugungen mit dem christlichen bzw. islamischen Bekenntnis, teilweise auch beiden.
Die von außen nach Westafrika gekommenen Religionen haben sich auf vielfältige Weise in der traditionellen afrikanischen Spiritualität kontextualisiert. Dies lässt sich auch für die traditionskritischen Pfingstkirchen zeigen, die insbesondere für breite Massen der jüngeren Generation des Landes attraktiv sind. Manche Beobachter sagen, dass hier gegenwärtig die zukünftige Führungsschicht vieler afrikanischer Länder geprägt wird: In den Pfingstkirchen wird die traditionelle afrikanische Kosmologie (stets mit einem Schöpfergott ganz ähnlich wie in den abrahamitischen Religionen, fernab vom anthropologischen Konstrukt eines Animismus) in eine Theologie des Heiligen Geistes und des persönlichen Empowerment transformiert. Diese motiviert Menschen dazu, sowohl im persönlichen Bereich als auch durch wirtschaftliche Anstrengungen den Status des Opfers hinter sich zu lassen und auf dem Weg der spirituellen Erfüllung (nicht jenseits davon, wie in den materialistischen Gesellschaften des Westens!) nach Erfolg im Leben zu streben. Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit sollte diese spezifische, durchgängig vorhandene spirituelle Grundprägung berücksichtigen, sofern sie nicht ungewollt desintegrierend wirken will.
Akteurspol 4: Die kommunale Ebene ist vorhanden, aber schwach ausgebildet.
Akteurspol 5: Überwölbendes Narrativ der Nation Ghana mit ihren mehreren hundert ethnischen und Sprachgruppen bildet das historische Königreich der Ashanti. So spielte beispielsweise der Ashanti-König eine wichtige Rolle bei der friedlichen Machtübergabe Ende 2016, indem er sich dafür einsetzte, dass die unterlegene NDC von Ex-Präsident Mahama ihre Niederlage anerkannte und das Wahlergebnis nicht anfocht. Ebenso hat das öffentliche Eintreten des National-Imam von Ghana für den gewaltlosen Ausgleich von Interessensgegensätzen im Land schon mehrfach kritische Situationen im Land entschärft und damit den Weg für friedliche Konfliktlösungen vorgezeichnet.
Das westliche Demokratiemodell basiert auf Mündigkeit des Individuums, das für sich und für Andere Verantwortung übernimmt. Ebenfalls geht das neoliberale Wirtschaftsmodell von individuellen Präferenzentscheidungen aus. Beides ist mit den Spiritualitätsausformungen Ghanas, die über die traditionellen und religiösen Ebenen eher gemeinschaftlich verankert sind, wenig kompatibel. Ein wirtschaftspolitisches und politiktheoretisches Kernproblem der bisherigen EZ-Ansätze ist die westliche Schwierigkeit zu verstehen, dass in Ghana wie in vielen Ländern Afrikas jedes materielle Geschehen stets und oft vorgängig eine spirituelle Dimension hat. Dieser Gesichtspunkt wurde bisher weder ausreichend verstanden noch gewürdigt, geschweige denn in der Projektplanung ausreichend berücksichtigt. Damit führen Projekte nicht immer zu nachhaltigen Strukturen: in ihrem Rahmen wird daher zumeist an der Oberfläche agiert, die mit der Tiefenschicht der Kultur in keinem Zusammenhang steht oder ihr sogar widerspricht und mit einer rein materiell und ökonomisch fokussierten Logik diese verletzt.
Im Ergebnis ist die Wirtschaft Ghanas trotz langjähriger Unterstützung durch Deutschland und andere Geber sowie internationale Organisationen nicht genug gewachsen, um den Menschen, vor allem der Jugend, ausreichende Perspektiven zu bieten. Dies wiederum resultiert in Frustration, Unmut und der Bereitschaft, große Gefahren und hohe Kosten für Migration auf sich zu nehmen.
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In Kamerun begegnete der Delegation ein grundsätzlich paralleles Bild, das sich jedoch dort in anderen Rahmenbedingungen vorfindet. An der Stelle mehrfacher friedlicher Machtwechsel in Ghana steht in Kamerun die Erfahrung der Langzeitpräsidentschaft Paul Biyas (seit 1982 an der Macht), dessen politisches System eine vertikale Machtpyramide ist, die sämtliche Elemente unifizierend einzubinden versucht. Dies gelingt ihr jedoch zunehmend weniger.
Kamerun gilt als Afrique en miniature, da vom tropischen Regenwald über Hügelland und Hochgebirge (4.095 m) bis zur Savanne alle afrikanischen Vegetationszonen in seinem Staatsgebiet zu finden sind. Es ist ein Miteinander von rund 250 Ethnien und Sprachen, dessen Grenzziehung aus Absprachen zwischen den Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien in Ablösung der deutschen herrührt. (1884–1916 war Kamerun „Schutzgebiet“ des Deutschen Reiches bei allerdings sehr wenigen Deutschen [1897: 181 Dt.; 1911: 1.000 Dt.] und mit Negativerträgen für den Reichshaushalt).
Die beiden anglophonen unter den zehn Regionen des heutigen Kamerun sind 1961 durch eine von den VN durchgeführte Volksabstimmung unter dem Versprechen einer föderalen Einbindung zu Kamerun gekommen. (Während der Nordteil des VN-Abstimmungsgebietes zu Nigeria kam). Die Föderale Republik Kamerun wurde 1972 umgewandelt in eine Unitarische Republik Kamerun. 1984 erhielt der Staat wieder den Gründungsnamen République du Cameroun gegen den Willen zahlreicher Anglophoner. Deren Empfinden einer unzureichenden politischen Repräsentation führt seit langem zu Spannungen, die im Herbst 2016 in offenen Konflikten mündeten (Demonstration der Rechtsanwälte), seit Herbst 2017 in z.T. bewaffneten Auseinandersetzungen. Ein angemessener Dialog der staatlichen Stellen finde nicht statt, so zumindest einige der Gesprächspartner. Zahlreiche Dörfer wurden mutmaßlich durch staatliche Sicherheitskräfte abgebrannt. Kurz nach dem Aufbruch der Delegation in Buea am 18. Februar kam es wenige Kilometer weiter zum nächsten tödlichen Zwischenfall in dieser Auseinandersetzung. In weiteren Regionen ist ein latentes Unbehagen an der unzureichenden Einbindung in das unitarische System in Unruhen umgeschlagen. Eine Befriedung vor der Präsidentenwahl im Herbst 2018 ist unwahrscheinlich. Die Schließung der Grenze zu Nigeria von Oktober 2017 bis Januar 2018 machte auf die wirtschaftliche und politische Bedrohung der Gesamtregion Zentralafrika im Falle einer Implosion des Staates Kamerun aufmerksam. Ob dahinterstehenden Interessen und welche bei dem Konflikt eine Rolle spielen, war weder Gegenstand der Reise noch konnte es in diesem Rahmen geklärt werden.
Auf die EU-Mitgliedsstaaten kämen bei einer solchen Implosion und einer militärischen Weiterung sehr erhebliche Kosten zu. Eine Stärkung der extrastaatlichen Strukturen ist, auch mit Blick auf diese Kollateralkosten, im DEU Interesse und erscheint als eine vorrangige Notwendigkeit. Zu den extrastaatlichen Strukturen gehören:
- die (durch staatliche Vergütung der Könige in drei Klassen ins System formal eingebundenen) chefferies / chieftaincies mit ihren traditionellen Rollen und Gemeinschaftsinstitutionen,
- die Religionsgemeinschaften (Muslime 21 % eher im Norden, Christen eher im Süden:
38 % römische Katholiken bzw. 26 % Protestanten insbesondere in den anglophonen Gebieten in Historischen Missionskirchen sowie in wachsenden neuen Pfingstkirchen und charismatischen Bewegungen). Die Historischen Missionskirchen der protestantischen Tradition stehen in vielfältiger Verbindung zu den europäischen Kirchen, durch deren Missionsarbeit sie entstanden sind (Lebendige Kirchenpartnerschaften in die Schweiz, nach Baden-Württemberg, nach Norwegen); die römisch-katholischen Gemeinden stehen in Verbindung mit französisch- und deutschsprachigen Partnern. - die urban-intellektuelle Zivilgesellschaft insbesondere in den Ballungszentren Douala und Jaunde (jeweils rund 3 Mio. Einwohner)
- Unternehmerverbände und Gewerkschaften
- die im Ausland ausgebildeten Kameruner und Expats, die zum Teil stark nach Deutschland hin orientiert sind (das Goethe-Institut verzeichnet die vierthöchste Zahl von Sprachdiplomabschlüssen weltweit, bei gerade einmal 25 Mio. Einwohnern) sowie der Einfluss der Diaspora durch remittances und intellektuellen Input.
Die Gewalt von Frauen gegen Frauen in Form von Genitalverstümmelung im Norden und dem sog. Brustbügeln insbesondere im südlichen Littoral (noch 2006 durch eine GTZ-Untersuchung bei 24 % der kamerunischen Frauen erhoben) ist sozial induziert – eine religiöse Motivation für diese Praktiken liegt nicht vor. Gesprächspartner verwiesen auf einen möglichen Zusammenhang des gegenwärtigen Abnehmens des Brustbügelns mit der Veränderung von Schönheitsvorstellungen (Meiway 2002: „Miss Lolo“; Induzierung kultureller Muster mit künstlerischen Mitteln).
Überwölbendes Narrativ der Nation ist der Präsidentenkult; in zahlreichen Tischgebeten beteten die Gesprächspartner für sein Wohlergehen. Dieses lässt sicher auf eine gewisse Achtung des Präsidenten in weiten Kreisen schließen. Allerdings scheint das „System Biya“ wie analog in verschiedenen Ländern Afrikas an die Person des Präsidenten gebunden. r jedoch nicht nachhaltig, da Weder hat Biya bislang einen Nachfolger aufgebaut, noch ist ein anderes Narrativ vorhanden, in dessen Rahmen eine dynamische balance of powers möglich wäre.
3. Kernsätze aus den Begegnungen und Gesprächen
„Menschen werden in ein System von Weltwissen hineingeboren. Sie müssen es nicht wegwerfen, sie können es erweitern. Entwicklungsprojekte müssen auf der kulturellen Weisheit und dem indigenen Wissen von Menschen basieren.“ (Center for Indigenous Knowledge and Development of Organizations / Ghana)
Auf die Frage, was für ihn die größte Herausforderung als Chief in seinem Königreich sei: „Haltungen zu verändern“ (House of Chiefs / Ghana)
„Nichts, gar nichts, passiert einfach so. Alles hat eine spirituelle Bedeutung.“ (National Peace Council / Ghana)
„Die Weisheit der lokalen afrikanischen Religionen mit ihrer Wahrnehmung der Natur als belebt und heilig und ihrer Verbindung von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Generationen ist eine entscheidende Ressource für den Schutz der natürlichen Lebensräume und für langfristige nachhaltige Entwicklung.“ (National Peace Council / Ghana)
„Die jungen Ghanaer würden sich heute freiwillig fesseln lassen und auf Sklavenschiffe gehen, um von hier wegzukommen – irgendwohin, wo es eine Perspektive für sie gibt.“ (Leiter eines Kulturcafés in Jamestown in Accra / Ghana)
„Der Westen tötet unsere Tradition. Der Grundsatz `Wir sind alle gleich´ wirkt sich bei uns so aus, dass alte soziale Ordnungen aufgelöst werden und dann das Zusammenleben nicht mehr funktioniert. Den Älteren wird kein Respekt mehr gezollt.“ (Queenmother im Sunyani House of Chiefs / Ghana)
„Wir müssen die Eltern bilden/erziehen, sie erlauben die Reise durch die Wüste.“ (Queenmothers /Ghana)
“Es ist nicht klar, ob dieses Angehen, Anarbeiten gegen die Globalisierung durch unsere traditionellen Strukturen langfristig zu gewinnen ist. (Queenmothers / Ghana)
„Die Spiritualität der Menschen darf nicht angegriffen oder bedroht werden durch Logiken, die von außen kommen. Wenn die spirituelle Tradition erhalten bleibt und nicht unter Druck gesetzt wird, bleibt sie stark genug, um sich an manchen Stellen verändern zu können, ohne deswegen ganz aufgegeben werden zu müssen.“ (Genderbeauftragte der Brong-Ahafo Region / Ghana)
„Traditionelle Sitten und Bräuche widersprechen unseren Gesetzen. Die Implementierung traditioneller Praktiken widerspricht internationalen Verpflichtungen und nationalen Gesetzen.“ (Projektverantwortlicher einer NGO in Sunyani, Brong-Ahafo Region / Ghana)
„Spirituelle Autoritäten verbinden Menschen mit ihrer Geschichte und Identität. Ihre Autorität kommt von Gott. Die spirituelle Tradition stattet Menschen mit Anerkennung und Selbstachtung aus. Heilige Orte sind immer mit Ahnen verbunden. Heute ist der Ausgleich zwischen der Gemeinschaft und dem Individuum gestört. Individuum und Gemeinschaft sind nicht mehr ausgeglichen, ausbalanciert.“ (Gesprächsrunde mit traditionellen Chiefs bei der Konrad-Adenauer-Stiftung Jaunde / Kamerun)
„Wir brauchen religiöse Bildung, um sprach- und dialogfähig zu sein und uns über unsere Traditionen und Glaubensbekenntnisse friedlich austauschen zu können. Auf dieser Grundlage der geklärten eigenen Traditionen kann darüber verhandelt werden, wie der Wandel gedeutet und integriert werden kann. Die spirituellen Traditionen dürfen nicht abgerissen, aber sie können integriert werden.“ (ACADIR – Interreligiöses Dialogforum in Kamerun)
„Alles ist spirituell und hat eine geistliche Bedeutung.“ (Gesprächsrunde mit Chiefs aus dem Kameruner Grasland)
„Das Schlimmste für uns ist, dass wir eure Bettler sind.“ (Gesprächsrunde mit Chiefs aus dem Kameruner Grasland)
„Glaubst du an Fluch? Und glaubst du an Segen?“ (Gesprächsrunde mit Chiefs aus dem Kameruner Grasland)
„Zum ersten Mal seit über 20 Jahren wurde uns zugehört.“ (Gesprächsrunde mit Chiefs aus dem Kameruner Grasland)
„Es braucht viel Zeit, um eine Gemeinschaft zu verändern und ihre Werte dabei zu achten.“ (Projekt der GIZ und der KfW im Nationalpark Mt Cameroon)
„Du kannst Menschen nicht entwickeln, ohne ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Wenn Menschen spüren, dass du ihre Persönlichkeit zerstören willst, werden sie sich widersetzen. Entwickle Menschen zusammen mit ihrer Persönlichkeit, trage dazu bei, dass sie ihre Persönlichkeit nicht verlieren.“ (Gespräch mit Chief aus dem Littoral)
„In den lokalen Religionen, die das Leben rhythmisieren (Tabuzeiten, in denen nicht gefischt und das Land nicht bebaut werden darf) und die die Natur als belebt und heilig wahrnehmen, liegt eine starke Kraft für den Schutz der Umwelt.“ (Projekt der GIZ und der KfW im Nationalpark Mt Cameroon)
„Ein Unternehmer kann erfolgreich sein, wenn er die spirituelle Dimension in sein Unternehmen integriert und selbst eine spirituelle Autorität ist. Wir nutzen das Chiefsystem als ein Netzwerk.“ (Kamerunische Unternehmer, die in Deutschland studiert haben)
„Traditionelle religiöse Autoritäten sind von ihrem Wesen her Bewahrer und nicht Innovatoren. Aber Entwicklung und Innovation braucht auch Bewahrung und muss mit ihr ins Gleichgewicht gebracht werden.“ (Kamerunische Unternehmer, die in Deutschland studiert haben)
4. Folgerungen für ein erweitertes und verändertes Paradigma von Entwicklungszusammenarbeit und für eine dementsprechende Praxis
Prozesse der kulturellen Selbstvergewisserung und der Stärkung des kulturellen Gedächtnisses, der Bewahrung des Reichtums der Traditionen und ihrer Bedeutung können dazu beitragen, dass die heterogenen, durch koloniale Grenzziehungen willkürlich zusammengewürfelten Länder Westafrikas eine Identität und ein ‚nationales‘ Narrativ ausbilden, in dem Diversität und Zusammengehörigkeit in eine gewisse Balance gebracht werden. Solche möglichst breit und partizipativ angelegten Prozesse zu stärken, liegt im Interesse einer Entwicklungszusammenarbeit, die zur Stabilisierung von Gesellschaften einen Beitrag leisten und dem Auseinanderbrechen von Staaten entgegenwirken will. Wenn lokalen Traditionen mit Achtung und Interesse begegnet wird und diese als relevant, bewahrenswert und tatsächlich (nicht nur museal) bereichernd eingeschätzt und behandelt werden, ergibt sich für Menschen gerade in abgelegenen und ländlichen Räumen der Eindruck des tatsächlichen Gehörtwerdens. Ihre kulturelle Identität wird dadurch gestärkt.
Nur eine Entwicklungszusammenarbeit, die die traditionellen kulturellen und religiösen Strukturen und Gewissheiten ihrer Zielländer in ihrer Bedeutung für Individuen und Gemeinschaften zu verstehen versucht, diese achtet und ihre Arbeit aktiv im offenen Dialog mit dieser anderen Dimensionen von Realität gestaltet, integriert Individuen und Gemeinschaften und stabilisiert ihre endogenen Resilienzpotentiale. Das (in der EZ-Praxis allzu oft dominierende) Unwissen über die traditionellen kulturellen und religiösen Strukturen desintegriert Individuen und Gemeinschaften und verletzt Menschen und Gruppen in ihrer Identität. Solch ein notwendiger Dialog bleibt oftmals erfolglos; er kann aber sogar zur Auflösung von Identitäten und sozialen Gefügen und damit einer Negativentwicklung beitragen, weil dadurch endogene Resilienzpotentiale reduziert werden. Mit dieser grundsätzlichen Aussage soll nicht verschwiegen werden, wo bereits in der bilateralen EZ gute Beispiele existieren. Die Delegation konnte sich z. B. beim Waldschutz und bei der Förderung der Kommunalentwicklung in Kamerun davon überzeugen, wie traditionelle Strukturen in den Vorhaben eine Berücksichtigung erfahren.
Entwicklungszusammenarbeit in West- und Zentralafrika (aber nicht nur dort) sollte sich der Tatsache bewusst werden, dass sie in einem Raum agiert, in dem materielle und spirituelle Ebenen in allen Bereichen des Lebens untrennbar miteinander verflochten sind und tatsächlich dieselbe Relevanz haben. Für eine erfolgreiche EZ reicht es nicht aus Vorhaben nur mit der jeweiligen Regierung zu vereinbaren, vielmehr gilt es diese Verbindung zwischen materieller und spiritueller Ebene mitzubedenken und die Akteursvielfalt miteinzubinden. Projekte, die ausschließlich der Verbesserung materieller Lebensbedingungen dienen sollen und/oder im ökonomischen bzw. politischen Sektor angesiedelt sind, sollten im Blick auf ihre (für westliche Augen zunächst meist nicht sichtbare) spirituelle Relevanz hin untersucht werden, diese anzuerkennen und gemeinsam mit den Partnern vor Ort nach einem angemessenen Umgang damit zu suchen.
Berufsbilder in der Entwicklungszusammenarbeit (Botschaft, GIZ, KfW, politische Stiftungen, internationale Organisationen, NGO etc.) sollten um eine grundlegende Ausbildung und Sensibilisierung im Bereich „religious literacy“ / „cultural literacy“ erweitert werden, bei der zum einen Wissen vermittelt, aber vor allem auch an Haltungen gearbeitet wird, die im Umgang mit den Dimensionen der Heiligkeit und der Unverfügbarkeit angemessen sind. Zu dieser Haltung gehört auch die Fähigkeit und Bereitschaft, eigene Werte und Deutungsmuster darzustellen, sie in den Dialog einzubringen und sie hinterfragen zu lassen. Es ist offensichtlich, welches Problem sich daraus für einen modernen Menschen aus Deutschland ergibt, der in der Regel „religiös unmusikalisch“ (Max Weber) ist.
Umgekehrt gehört zur „governance literacy“ auch das Gespür für die – aus deutscher Perspektive – grundsätzlich allenfalls formale Staatlichkeit der nationalrechtlichen Strukturen in Westafrika. Sie ist inkompatibel mit der aus Deutschland gewohnten handlungsleitenden Verinnerlichung der kulturellen Leitvorstellungen durch eine überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung.[4] Die Plakette „Ministerium“ an einem Gebäude sollte über das notwendige Fehlen eines „von Innen bauen“ des Staates (Richard Wagner 1872) nicht hinwegtäuschen.
Im Blick auf die Förderung von Good Governance und Demokratisierungsprojekten gilt, dass es nicht nachhaltig sein kann, eine demokratische Struktur mit ihrer säkularen Begründung von Macht in einem kulturellen und religiösen Umfeld zu etablieren, in dem Autorität, Machtausübung und Führung grundsätzlich religiöse Bedeutung haben. Das westliche Demokratiemodell, basierend auf dem mündigen Individuum, das im immanenten Rahmen eigenverantwortlich und pragmatisch Präferenzentscheidungen trifft, ist mit den stets sozial-überindividuell verankerten Spiritualitätsformen Ghanas oder Kameruns wenig kompatibel.
Die Implementierung formaler demokratischer Vorgänge (Wahlen etc.) in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit sollte begleitet werden von einer schrittweisen Kontextualisierung demokratischer Prinzipien in und mit den vorhandenen Traditionen und Denkweisen treten. Im Dialog kann im Einzelfall ausgehandelt werden, wie im jeweiligen Umfeld verantwortliche Regierungsführung, die Artikulation und Berücksichtigung von Minderheitenvoten, die Garantie von Menschenrechten und Rechtssicherheit, Kontrolle von Machtausübung und von Finanzmitteln und die Entscheidungsfindung unter Beteiligung möglichst vieler Bürger zu begründen sind und gestaltet werden können. Dies stets in Verbindung mit den kulturellen und religiösen Vorstellungen von Individuum und Gesellschaft, von Autorität und Führung, die vor Ort vorhanden und sozial akzeptiert sind.
Der Dialog mit den traditionellen kulturellen und religiösen Strukturen und Gewissheiten darf nicht in taktischer und strategischer Grundhaltung erfolgen, die versucht, die eigene Agenda in die vorhandenen Gefüge vor Ort möglichst effektiv einzuspeisen, um dadurch einen höheren Output zu erzielen. Eine derartige Instrumentalisierung verkennt die unbedingte Bedeutung der kulturellen und religiösen Dimensionen für die Partner – die mit den Begriffen der Heiligkeit und der Unverfügbarkeit beschrieben sind und dementsprechend in besonderer Weise gewürdigt und geachtet werden müssen.
Es braucht sensibilisierende Formate, in denen auf beiden Seiten– zumal bei landesintern häufig unterschiedlichen Positionen bzw. Machtstrukturen – das vertiefte Kennenlernen, das Zuhören, das behutsame Aushandeln gemeinsamer Werte und Ziele im Mittelpunkt stehen und regelbasiert in die Entwicklungszusammenarbeit integriert werden – bevor finanzielle Mittel im Spiel sind und auch während diese fließen. Nach Abschluss eines Projektes sollte unabhängig und gemeinsam mit den Gruppen, in deren Leben das betreffende Projekt eingegriffen hat, evaluiert werden, ob die traditionellen kulturellen und religiösen Strukturen und Gewissheiten durch diese Zusammenarbeit bestärkt oder beschädigt worden sind, im besten Falle aber eine Hinbewegung, Transformation erfolgte, die zukünftige Veränderungen und Heraus-forderungen leichter meistern lässt.
Denn es geht nicht darum, die traditionellen Strukturen und spirituellen Gewissheiten der Zielgruppen unter „Denkmalschutz“ zu stellen und sie für unantastbar zu erklären. Vielmehr sollten diese wertschätzend wahrgenommen werden. Wir sollten lernen, mit diesen Menschen in einen echten Dialog zu treten und zu klären versuchen, wie sie Wandel in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen deuten und ihn begleiten können. Wo dieser Dialog und damit die Kontextualisierung von Entwicklungsmaßnahmen nicht stattfinden, verlieren beide Seiten (Tradition und Wandel) ihre Plausibilität und lassen Menschen orientierungslos zurück.
5. Handlungsempfehlungen
5.1. Handlungsempfehlung I: Sensibilität für spirituelle und kulturspezifische Zusammenhänge bei Programmen der Entwicklungszusammenarbeit.
„Die Illusion des Westens bestand in seinem naiven Materialismus, der von einer Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine demokratische Kultur und von dieser auch gleich Pluralismus, Toleranz und aufgeklärte Religion erwartete. Die Kultur hielt der Westen für den weichen Faktor, der den harten ökonomischen Faktoren folgt. Heute wissen wir: Es ist umgekehrt. Die Kultur ist der harte Faktor.“ (J. Jessen, Afghanistan ist verloren. In: DIE ZEIT, 8.3.2012.)
“The one-eyed giant had science without wisdom, and he broke in upon ancient civilizations which (like the medieval West) had wisdom without science.” (D. Goulet, The One-Eyed-Giants. In: Gaspar / St Clair, Development Ethics 2010.)
Bei der Konzeption, Durchführung und Evaluation von Programmen der Entwicklungspolitik sollte stärker auf kulturspezifische Zusammenhänge geachtet werden, auf für die Menschen in den konkreten Lebenssituationen relevante Werte, ihre Religion und Spiritualität. Zu entwickeln wäre eine Grundsatzstrategie, die eine Achtung vor der Dimension des Heiligen und Unverfügbaren beinhaltet, das die Menschen in Ghana und Kamerun nach wie vor prägt und bindet; das BMZ-Grundsatzpapier „Religionen als Partner in der EZ“ weist bereits in diese Richtung und müßte nun in länderspezifische Strategien überführt werden. Eine Berücksichtigung der afrikaspezifischen Balance of Powers (spirituelle Autoritäten und Machthaber aller Art) mit ihren komplexen Akteurspolen und Ebenen ist für erfolgreiche Programme und konkrete Projekte notwendig.
Es ist Zeit, den eigenen blinden Fleck und seine destruktiven Auswirkungen in der Entwicklungszusammenarbeit anzuerkennen – und das Auge für die Weisheit, die Spiritualität und die Heiligkeit zumindest im Leben vieler Menschen in den Partnerländern wieder zu öffnen, ohne sie für Korruption, Kleptokratie und Nepotismus zu verschließen. Hierfür ist die Bereitschaft nötig, das eigene mitgebrachte Weltbild mit seinen klassischen Positionierungen, das Religion und Spiritualität auf den Privatbereich beschränkt, selbstkritisch auf den Prüfstand zu stellen und den europäischen – nur für einen Bruchteil der Weltbevölkerung geltenden – Weg durch Aufklärung und Säkularisierung hindurch nicht simplifizierend zu universalisieren. Diese Herausforderung ist umso anspruchsvoller, weil ja zum Beispiel die Idee universal geltender Menschenrechte nicht aufgegeben werden soll (Nooke 2008).[5] Damit befindet man sich aber unmittelbar in der Auseinandersetzung zwischen individuellem Grundrechtsanspruch und dem damit oft verbundenen destabilisierenden Einfluss auf eine bestimmte (indigene) Gruppenidentität; besonders interessant und komplex am Beispiel des Menschenrechts auf Religionsfreiheit, das alle Akteure für sich beanspruchen können (sollen) (Nooke 2016).[6]
Der Ansatz des „Do no harm“ sollte auch für die kulturellen und religiösen Dimensionen von nachhaltiger Entwicklung zur Geltung gebracht werden. Eine grundsätzlich wertschätzende Haltung erfordert in diesem Sinne, nach westlicher Logik entwickelte Projekte und Arbeitsweisen zu überprüfen: Weder lässt sich das Gute ausschließlich bei NGOs und Menschenrechtsinitiativen verorten, noch sind Initiativen aus dem Bereich der Privatwirtschaft grundsätzlich problematisch – im Gegenteil. Auch Regierungsinitiativen und -personal können durchaus kompetent und kontextsensibel agieren und dabei Ergebnisse erzielen, die besser in soziale Gefüge vor Ort eingebettet sind, als durch externe Förderung aufgebaute Organisationen, die eine donor-driven agenda umzusetzen versuchen. Neu entstandene und stark wachsende Pfingstkirchen stärken Menschen in ihrer Subjektivität und können sie zu beruflichem und gesellschaftlichem Engagement und zu sozialem Aufstieg motivieren. Es gibt in diesem Umfeld aber auch Gruppen, die Menschen abhängig machen von spirituellen Führern, die manipulativ wirken und die ihnen (zuge-)hörige „Glaubensgemeinde“ als ihr eigenes Geschäftsmodell betreiben. In der EZ sollte es nicht darum gehen, die „Guten“ und die „Bösen“ je nach eigenem Weltbild zu bewerten und diejenigen zu fördern, die zu den eigenen Werten am besten passen. Vielmehr sollte – ausdrücklich im Bewußtsein ihrer häufig problematischer Repräsentativität – versucht werden, gesellschaftliche Gruppen und ihre identitätsbildenden Narrative breit kennenzulernen, mit ihnen einen echten Dialog über Werte und Ziele zu führen und es Menschen damit zu ermöglichen, sich nachhaltig im Einklang mit ihrer gesamten Identität zu entwickeln. Dabei muss weder der eigene Glaube (sei es nun das Christsein, Muslimsein oder ein Leben in lokaler Religion und Tradition) außen vor bleiben, noch soll damit einer nicht existierenden Wertneutralität das Wort geredet werden. Eine Bildungsarbeit, die die vorhandenen religiösen und kulturellen Fundamente und die sinnstiftenden Narrative der Menschen aufgreift und integriert, kann ganzheitliche Entwicklung in ihrer Tiefendimension unterstützen. Gleich wie sie begründet werden, bleiben alle Programme und Projekte dem Schutz elementarer Menschenrechte für alle Menschen verpflichtet. Diese Begründungen und ihre Folgen sollten jedoch bewusst gemacht und versprachlicht werden, um nicht pragmatisch auf der Oberfläche zusammenzuarbeiten und dabei die implizit mitgedachten Eigenlogiken und deren Auswirkungen zu übersehen.
Eine Entwicklungszusammenarbeit, die in diesem Sinne didaktisch auf der Höhe der Zeit ist, wird sich über den Subjektstatus des Gegenübers neue Gedanken machen müssen und wird Partizipation anders verstehen lernen müssen. Nicht „Wir“ erlauben den Zielgruppen an Projekten mitzuwirken – es ist vielmehr umgekehrt.[7]
Dass das Absehen vom spätaufklärerischen Mainstream schwer fällt, wurde schon bei der Etablierung des Themas Religion und Entwicklung im BMZ und des Sektorvorhabens „Werte, Religion und Entwicklung“ (GIZ 2016) deutlich.[8]
5.2. Handlungsempfehlung II: Die Starken stärken
„Davon, dass einige Menschen sich mehr anstrengen (wollen und können), lebt Entwicklung. Wo sollten sonst Innovationen her kommen? Wenn also der neue Fokus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eine selbsttragende, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ist, kann es dann nicht sinnvoll oder gar geboten sein, privaten Unternehmungen auch mit dem Geld der Steuerzahler und unabhängig davon, woher die Unternehmen und die Mittel kommen, solange zu helfen, bis das Geschäft alleine läuft?“ (Nooke 2018)[9]
In Ländern mit einem faktisch schwachen Staat hängen gesellschaftliche Stabilität und Entwicklungschancen wesentlich von einer entwickelten Privatwirtschaft außerhalb der staatlichen und parastaatlichen Begünstigungssysteme ab, die in der Lage ist, lokale und regionale Wertschöpfungsketten aufzubauen, und die stark genug ist, die Begünstigung westlicher und asiatischer Billigprodukte zu unterlaufen (frz. Seife, frz. Butter in den Hotels etc.).
Durch die Stärkung einzelner Strukturen und Unternehmen können endogene Potentiale im Land genutzt werden, um Arbeitsplätze und Wertschöpfungsketten zu schaffen. Sinnvoll erscheint es hierbei, auf lokaler Ebene in kleinere und mittlere Unternehmen bzw. unternehmerische Initiativen zu investieren – auf lokaler Ebene die Starken zu stärken. Dies ist nicht als taktische Maßnahme verstehen, sondern als im deutschen und europäischen Interesse liegende nachhaltige Stabilisierung der Strukturen vor Ort und im Land.
Zugleich ist darauf zu achten, dass der Wettbewerb nicht zu Lasten sich entwickelnder mittelständischer und kleiner Unternehmen verzerrt wird. Daher sind insbesondere Möglichkeiten des Austausches über erfolgreiche Unternehmensmodelle im Einklang mit den traditionellen Werten zu fördern. Hierzu gehört wesentlich die Einbeziehung von Frauen. Volker Seitz, früherer deutscher Botschafter in Jaunde und Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, diagnostizierte zum Frauentag 2018: „Deutsche Entwicklungspolitik sollte Frauenförderung nicht nur beschwören, sondern auch praktizieren. Die männlichen Eliten Afrikas lösen die Versprechen gegenüber den Geberländern nur halbherzig, unzureichend oder gar nicht ein. […] Frauen sind in Afrika weitaus produktiver als Männer. Wären sie besser ausgebildet und hätten Eigentum, könnte das einen enormen Entwicklungssprung bedeuten. Ihre rechtliche Ungleichstellung erschwert ihren Zugang zu sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen. Eine kulturelle und praktische sowie rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern hätte große Auswirkung auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Afrikas, denn laut Weltbank sind Frauen weit weniger korruptionsanfällig als Männer.“[10]
5.3. Handlungsempfehlung III: Lokale Gemeinschaften mit je hälftiger „Gemeinschaftsquote“ bzw. „Individualquote“ (entsprechend der Staatsquote 50 % in Deutschland)
Die Jugendarbeitslosigkeit in den ländlichen, insbesondere in den peripheren Regionen Kameruns beträgt oft mehr als 60 %. Das Schulsystem ist überraschend gut ausgebaut und wird dem jährlichen Mehrbedarf von mehreren Prozent an Schulen, Lehrern und Material einigermaßen gerecht; es zielt jedoch einseitig auf den white-collar-Absolventen, an dem im Lande wenig und auf dem Lande besonders wenig Bedarf herrscht. Mangels Perspektiven vor Ort ist die Abwanderung in die Großstädte und nach Europa hoch; sie wurde auf Nachfrage auf 50 % bei den Kohorten um 20 Jahre geschätzt.
Während in der präkolonialen Zeit und in peripheren Gebieten auch über die Kolonialzeit hinaus Subsistenzlandwirtschaft auf Gemeinschaftsbasis dominierte, hat sich das Finanzmodell wesentlich zu einer Geldwirtschaft auf Individualbasis ohne Gemeinschaftsgüter verschoben. Vom zentraleuropäischen Modell einer Staatsquote von 50% und einer Individualquote ebenfalls von 50% sind die lokalen Gemeinschaften Kameruns weit entfernt. Viele Menschen nehmen die Staats- oder Gemeinschaftsquote eher bei 0% wahr (da Vorteile nicht sichtbar werden und kaum öffentliche Infrastruktur vorhanden ist) und sehen bei anderen und oft bei sich selbst eine notwendige Individualquote bei nahezu 100% (insbesondere für die individuelle und familiale Vorsorge auch mangels eines ausgebildeten Kranken- oder Rentensystems).
Gegenüber diesem allgemeinen Befund war das Programme for the Sustainable Management of Natural Resources in the South West Region of Cameroon der KfW am Mount Cameroon modellbildend.[11] Es führte zu einer Stärkung traditioneller Strukturen, die zwischenzeitlich von den Menschen in der Community zusammen mit ihren traditionellen Autoritäten zur Entwicklung eigener Vorhaben jenseits der EZ-Aktivitäten genutzt wurden. Für die Entwicklung von Gemeinschaftseigentum der Infrastruktur (Wasser, Abwasser, Strom, Straßen, Müll etc.) und insbesondere von Eigenwirtschaftsunternehmen, die als Fernziel 50 % der lokalen Güter umfassen könnten, zunächst die mentalen Voraussetzungen zu schaffen. Auf dieser Grundlage von Vertrauen und auch internem Druck der Chiefs und Communities können dann – durch die Akteure selbst – lokale und regionale Wertschöpfungsketten entwickelt werden. Tontines oder Programme wie MC2 von der Bank Afriland Firstbank sind eine gute Grundlage für die Finanzierung von Vorhaben aus Mikrokrediten in den Dörfern und Communities, die oft hohe Rückzahlungsquoten haben.
Es wäre hilfreich Konzepte zu unterstützen, die in den jeweiligen Communities als kulturell akzeptabel angesehen werden und die auch ökonomisch funktionieren, beispielsweise ein Konzept, bei dem tendenziell 50 % der erwirtschafteten Dienstleistungen und Erträge der jeweiligen Community zugutekommt und 50 % der Erträge Einzelnen. Entsprechend äußerte sich ein Mitglied des kamerunischen Unternehmerverbandes, das im Gegenzug eine Einbeziehung in den Kreis der Adligen, die den Chief/König seines Heimatortes beraten, erwartete. Es wäre auch denkbar im Austausch mit in anderen Teilen der Welt bereits entwickelten Modellen und unter Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien neue Wege beim korruptionsfreien Angebot von Gütern und Dienstleistungen, d. h. deren Erbringung und Verteilung zu gehen. Wichtig ist, insbesondere in ländlichen Gegenden, dass die jeweilige Unternehmensform sowohl von der Gemeinschaft akzeptiert als auch wirtschaftlich umsetzbar ist. Am ehesten scheinen solche Lösungen für lokal begrenzte Gruppen (Dorfgemeinschaften) zu existieren. In diesem Bereich wäre es besonders hilfreich, wenn sowohl an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten vor Ort als auch in wissenschaftlichen Kooperationsprojekten in Deutschland stärker dazu geforscht würde.
5.4. Handlungsempfehlung IV: Erarbeitung einer (zunächst in Deutschland zu zeigenden) Großausstellung „Kamerun“
Das in Mali stationierte deutsche Militär macht jeden Tag aufs Neue nachdrücklich auf die hohen Kollateralkosten der Instabilität afrikanischer Staaten aufmerksam. Zur Erinnerung: Alleine die deutsche Beteiligung an MINUSMA in Mali kostet den deutschen Steuerzahler 163 Mio. EUR p.a.; die VN kalkulieren für MINUSMA 944 Mio. US$ p.a.[12] Der Wirtschaftsraum Kamerun ist ungleich größer und im Falle einer Implosion ungleich aufwendiger zu sichern als Mali.
Wäre eine – im Übrigen ODA-anrechnungsfähige – kulturpolitische Präventionsarbeit nicht sinnvoller (und zehnmal preiswerter) als eine militärpolitische Nachsorge? Wenn Zweck einer so verstandenen Außenpolitik die Stabilisierung endogener Kräfte sein soll, wie ließe sich dies am unaufwendigsten und am behutsamsten erreichen? Wer könnte die ökologische, kulturelle, soziale, ökonomische Potentiale und Probleme des Landes besser in ein realistisches Bild zusammenführen als die extrastaatlichen Kräfte, auf deren friedvolles Miteinander Land und Region entscheidend angewiesen sind? Die traditionellen Autoritäten, die Religionsgemeinschaften, Unternehmen, das urban-intellektuelle Milieu, die weitere Zivilgesellschaft? Könnten die extrastaatlichen Kräfte nicht durch die gemeinsame Arbeit an einer Groß-Ausstellung „Kamerun“, in deren Inhalten und Formaten sie sich wiederfinden, zusammengeführt werden, motiviert durch eine Ausstellungsoption in Deutschland? So dass der Weg wesentlich bereits das Ziel wäre? Schon die Präambel der UNESCO spricht von den Vorstellungswelten, den „minds of men“, in denen der Krieg entsteht und künftig der Frieden wachsen möge; die Arbeit an den „minds of men“ geht weit über die bisher in der EZ berücksichtigten „sozioökonomischen Faktoren“ hinaus.
Das naheliegende Narrativ für eine auf rund 250 Ethnien und Sprachen aufgebautes Gebilde wie Kamerun wäre die Kraft der Diversität, wie sie auch der UNESCO-Deklaration Cultural Diversity zugrundeliegt. Allerdings wurden jüngst bei der Neukonzeption des Nationalmuseums Jaunde die landesinternen Wissenschaften ausgeblendet (u.a. Anthropologie, Museologie, Geschichte, Kolonialgeschichte und Zeitgeschichte, Kunstwissenschaften einschl. Musik, Tanz, Darstellende und Bildende Kunst, Medien-, Politik- und Sozialwissenschaften, Linguisten, Juristen).
Eine (zunächst in Deutschland zu zeigende) Großausstellung „Kamerun“ könnte versuchen, die Probleme und Potentiale des Landes für die heute in Kamerun lebenden Generationen so darzustellen, dass daraus anschließend der Kern einer Dauerausstellung mit einem neuen nationalen Narrativ entstehen könnte. Hiervon würde die Auswärtige Kulturpolitik wesentlich profitieren. Es entspricht in besonderer Weise den Notwendigkeiten im von Implosion bedrohten Kamerun, und kann gleichzeitig auf der ungewöhnlich hohen Wertschätzung deutscher Kultur, Wirtschaft und Politik in Kamerun und auf der gut ausgebildeten deutsch-kamerunischen Diaspora aufbauen.
Es sei ausdrücklich darauf verwiesen, dass eine im Land Kamerun selbst erzeugte/erarbeitete Ausstellung bzw. Dauerausstellung einen entscheidenden Beitrag zu gleich vier Diskursen darstellt: zu denen im Land (1) über das Land und (2) über die Fremdperspektive auf das Land, zu denen in Deutschland (3) über Kamerun und (4) über den Umgang mit ihm. Im von gegenseitigem Respekt getragenen Dialog läge ein entscheidender diskursiver Fortschritt gegenüber einer in Europa erdachten Ausstellung dar.
Mit dem Deutsch-Afrikanischen Wissenschaftszentrum unter Leitung des Humboldt-Preisträgers und Gründungsvorsitzenden des deutschen Alumni-Klub Kamerun David Simo stünde ein erfahrener Ansprechpartner aus dem urban-intellektuellen Milieu vor Ort zur Verfügung: Mit den acht bzw. elf traditionellen Autoritäten, die 2017 bzw. 2018 auf „Staatsbesuch“ in Deutschland weilten bzw. weilen werden, darunter der jesuitisch geschulte König von Batoufam, gäbe es eine ausgewogene Vertretergruppe der traditionellen Autoritäten. Mit dem deutsch-affinen Leiter des Unternehmerverbandes ein wichtiger Vertreter der Wirtschaft. Das Auswärtige Amt könnte mit Blick auf die Notwendigkeit einer Stabilisierung endogener Kräfte in der zentralafrikanischen Region (und auf die Kosten militärischer Einsatze im Implosionsfall) mit diesen und weiteren Akteuren neue Wege in der Auswärtigen Kulturpolitik gehen.
6. Einzelne Elemente der Reise
Die Delegation flog früh am Samstag, 10.02., von Berlin-Tegel über Brüssel nach Accra und gleich am nächsten Morgen, Sonntag 11.02., ins Landesinnere nach Kumasi. Dort nahm sie auf Einladung von Rev. Peter Kwasi Sarpong, dem ehemaligen Erzbischof von Kumasi und Fachmann für Inkulturationsfragen, in St. Mary’s Grotto, Suntreso, an einem Gottesdienst mit exzellentem Organisten und Chor, Trommeln, Gesang und Tanz auch der Gemeinde teil. Zurück in Accra traf sich die Delegation mit Vertretern des National House of Chiefs, darunter Togbe Afede XIV, Präsident der National House of Chiefs, und Agbogbome König (Volta Region).
Am Montag, 12.02., traf die Delegation
- Dr. Thomas Oduro, Theologe, Vertreter der African Independent Churches in Westafrika;
- einen Vertreter des Center for Indigenous Knowledge and Organizational Development (CIKOD), einer lokalen NGO, die anstrebt die “endogene” Entwicklung im Land zu fördern, indem sie auf lokale Ressourcen, Institutionen und lokales Wissen zugreift. CIKOD arbeitet hierfür eng mit traditionellen Führern zusammen, um deren Institutionen und Führung zu stärken.
- Emmanuel Asante, Vorsitzender des Peace Council. Das Peace Council ist eine nationale Institution, deren Ziel es ist, den gewaltfreien Umgang zu fördern. Ihre 13 Mitglieder repräsentieren die verschiedenen religiösen, sozialen und politischen Gruppierungen des Landes. Der „Friedensrat“ war insbesondere während des Wahlkampfs und der Wahlen eine wichtige Institution.
- Hon Kofi Dzamesi, Minister of Chieftaincy and Religious Affairs;
- Jamestown Café, Joe Addo, Architekt. Das Café liegt mitten in Jamestown, dem ältesten Stadtteil Accras, Treffpunkt für Architekten, Musiker, Schriftsteller.
- im Flagstaff House Präsident Nana Akufo-Addo und die Außenministerin;
- Sheikh Dr. Osmanu Nuhu Sharubutu, den National Chief Imam of Ghana, mit sehr friedfertigen Auslegungen des Korans, die man gerne so auch in Deutschland hören würde.
Abendessen auf Einladung des Botschafters mit
- Gabriel Charles Palmer-Buckle, Erzbischof Accra
- Nana Awindor, Queenmother
Am Dienstag, 13.02., erneuter Flug nach Kumasi und Fahrt nach Sunyani. Termin bei Queenmothers in der Brong Ahafo Region (paramount queenmothers, die in der Hierarchie der Queenmothers auf übergeordneter Ebene agieren). Moderation durch Dr. Isaac Owusu-Mensah, Mitarbeiter der KAS. Das Gespräch gab einen Einblick in die Realitäten und Herausforderungen der Traditionellen Autoritäten im 21. Jahrhundert, beleuchtete das Mit- und manchmal gegeneinander des „modernen Staates“ mit dem Traditionellen System und gab Auskunft, welche Rolle die Traditionellen Autoritäten in Zukunft spielen sollten und werden. Projekt in Zusammenarbeit mit der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) und der NGO „Center for Indigeneous Knowledge and Organizational Development (CIKOD). Queenmothers sind zusammen mit den traditional Chiefs die Hauptvertreter des Traditionellen, vorkolonialen Systems in Ghana, welches bis heute auch laut Verfassung von 1992 einen wichtigen Stellenwert innehat. Die Traditionellen Autoritäten kümmern sich jedoch nicht nur um das kulturelle Zusammenleben, sie stellen wichtige Instanzen für das friedliche Zusammenleben der Bevölkerungen und der Entwicklung des Landes dar.
Am Mittwoch, 14.02.2018 Abflug über Lomé und Libreville in die kamerunische Hauptstadt Jaunde; dort intensives abendliches Briefing durch den deutschen Botschafter mit Militärattaché, Politik-/Kulturattaché, WZ-Referenten, GIZ, KfW, BGR, ZFD, KAS, Goethe-Institut.
Am Donnerstag 15.02. absolvierte die deutsche Delegation unter Leitung von Günter Nooke verschiedene Termine und Gespräche, u.a. beim Staatspräsidenten Paul Biya, mit einer großen Runde der Religionsführer des Landes sowie dem Wirtschaftsminister (MINEPAT). Bereits am Morgen fand die erste Arbeitssitzung mit einigen ausgewählten traditionellen Häuptlingen am Sitz der Konrad Adenauer-Stiftung in Jaunde statt. Tagesordnungspunkt war „Die Rolle der traditionellen Häuptlinge in der lokalen Entwicklung“. Prinzessin Espérance Fezeu vom kamerunischen Verein ESPERANZA-CADE hielt dazu einen Vortrag über Traditionelle Führung in Kamerun. Zum Termin waren Traditionelle Chiefs aus den unterschiedlichen Regionen Kameruns eingeladen, von denen mehrere auf Einladung der KAS 2017 Deutschland besuchten. Die anschließenden Diskussionen und die Abendveranstaltung in der Residenz des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland unter musikalischer Begleitung der Tanzgruppe der Baméka-Gemeinschaft Yaoundé, gab Gelegenheit in einer entspannten und gepflegten Atmosphäre, für einen weiteren Austausch mit den Traditionellen Chiefs aus den Regionen Adamaoua, Westen, Littoral und Nordwesten.
Einen niederschmetternden Eindruck von einer auf der staatlichen Ebene offensichtlich nicht ausgebildeten Museumskultur hinterließ am Nachmittag der Besuch des (neugestalteten) Nationalmuseums.
Am Freitag 16.02. reiste die Delegation auf Einladung der Bürgermeisterin von Bangangté, Frau Celestine Ketcha Courtès gen Westen weiter. Nach einer kurzen Unterredung mit dem Unterpräfekten ging es zum Königvon Bangangté weiter.
Der Höhepunkt der Delegationsreise war ohne Zweifel der Besuch im Königspalast von Batoufam. Angeführt von Seiner Majestät Innocent Nayang Toukam, dem König der Batoufam, kamen mehr als 2.000 Dorfbewohner, Schüler und Offizielle der Staatsverwaltung der Region, um die Delegation willkommen zu heißen. Auch Vertreter der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Kamerun, u.a. aus der Deutschen Botschaft in Jaunde, der GIZ, KfW, Konrad-Adenauer-Stiftung waren anwesend.
Am darauffolgenden Tag ging es zum von Frankreich mitgestalteten Musée des Civilisations in Dschang, wo eindrucksvoll die Geschichte des Landstrichs bis zur späteren Unabhängigkeit Kameruns bildlich dargestellt und erzählt wurde. In Buea, die Stadt am Fuße des Kamerunberges (4.095 m), dem Sitz der deutschen Kolonialverwaltung bis 1918, hatte die Delegation Gelegenheit, unter der Führung der KfW und bei einer Diskussion mit den traditionellen Autoritäten der Region das Projekt zur nachhaltigen Parkverwaltung des Mt. Cameroon Buea kennenzulernen (“Traditionelle Strukturen und die Bedeutung der Deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Grünen Sektor”). Mit dem sehr langen Atem von zehn Jahren war es gelungen, die Bevölkerung nachhaltig in das Projekt einzubinden. Mit einem anschließenden Besuch beim Gouverneur der Provinz Südwest, Herrn Bernard Okalia Bilai, und dem Bürgermeister der Stadt Buea beendeten die Delegation die Stadtführung bei einem Abendessen auf Einladung von Herrn Jan Fröhlich, dem Büroleiter der KfW-Vertretung in Kamerun. Eigens aus Douala zum Gespräch angereist waren Prof. Dr. Léopold Lehman (Facharzt für Parasitologie), Prof. Dr. Savage Njikam (Sozialanthropologin) und Dr. Mbea Mbea (Entwicklungsforscher, Consultant).
Am Sonntag dem 18.02. hatte die Delegation Gelegenheit, einen presbyterianischen Gottesdienst zu erleben und anschließend mit dem Bischof, der eine große Zahl von Schulen und Krankenhäusern betreibt, ins Gespräch zu kommen. Bei einem Treffen in der Hafenstadt Douala nutzte die Delegation aus Deutschland die Möglichkeit, sich mit den Vertreterinnen der Menschenrechtsorganisation REDHAC über die Menschenrechtslage in den anglophonen Gebieten auszutauschen. Mit einem Abendessen auf Einladung des Vorsitzenden des Arbeitgeberverbands GICAM, Hrn Celestin Tawamba, beendete die Delegation die Kamerunreise. Günter Nooke und Kollegen erreichten Brüssel bzw. Berlin am Montag 19.02.
Die Botschaften in Accra und in Jaunde hatten mit ihrer vorzüglichen Vorortorganisation einen wesentlichen Anteil am Erfolg der Delegationsreise; ihnen gilt ebenso wie den Gesprächspartnern unser herzlicher Dank!
7. Postscriptum
Zwei der Delegationsmitglieder blieben noch für Vorlesungen und weitere Gespräche im Land. Durch den im Bouba-Ndjida-Nationalpark im Nordosten des Landes – eines der wildreichsten Schutzgebiete Afrikas – ausgebrochenen Krieg zwischen Wilderern aus dem Sudan und dem Militär musste die anschl. geplante Exkursion allerdings abgebrochen werden. Der Norden des Landes ist aufgrund des Boko-Haram-Terrors ohnehin nicht zugänglich. Wie oben berichtet, kam es kurz nach dem Aufbruch der Delegation in Buea am Sonntag wenige Kilometer weiter zum nächsten tödlichen Zwischenfall in der Auseinandersetzung um die anglophonen Regionen. So gesehen ist es verständlich, dass sich die Zahl der echten Touristen, die nach Kamerun kommen, auf lediglich 5.000 p.a. belaufen soll. Eine Implosion des Landes ist kein Gerücht, sondern eine reale Gefahr.
Berlin, 27. März 2018
gez.
Fred-Eric Essam, Christine Gühne, Brigitta Herrmann, Günter Nooke, Matthias Theodor Vogt
[1] „Im Sinne dieses Beschlusses sind verarmte Personen Einzelpersonen, Familien und Personengruppen, die über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, daß sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist.“ Art. 1, Abs. 2 85/8/EWG: Beschluß des Rates vom 19. Dezember 1984 über gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut auf Gemeinschaftsebene.’ Amtsblatt Nr. L 002 vom 03/01/1985 S. 0024 – 0025. Vgl. Schlußbericht der Kommission an den Rat über das erste Programm von Modellvorhaben und Modellstudien zur Bekämpfung der Armut, Brüssel 1983.
[2] Derzeit wächst die Bevölkerung Ghanas von 27,5 Mio. (Juli 2017) um 2,17 % p.a. entsprechend einer Verdoppelung in 33 Jahren. Die Bevölkerung Kameruns von 24,9 Mio. (Juli 2017) wächst derzeit um 2,56 % p.a. entsprechend einer Verdoppelung in 28 Jahren. Über 55 Jahre alt sind nur 9,2 % (Ghana) bzw. 7,2 % (Kamerun) der Bevölkerung. Die Armutsrate Ghanas konnte zwischen 1992 (56,5 %) und 2013 (24,2 %) erheblich reduziert werden, ist aber im Norden nach wie vor erheblich und führt zu massiver, insbesondere muslimischer Binnenmigration in die Slums von Accra (UNICEF: The Ghana Poverty and Inequality Report 2016). Die Armutsrate Kameruns fiel zwischen 1996 (53,3 %) und 2014 (37,5 %) weniger als in Ghana. Die Weltbank-Angabe von 24 % (2014) unterhalb der Marge von 1,90 US$ gibt die tatsächliche Armut nur unzureichend wieder.
[3] „Die Bevölkerungen der Endemiegebiete bedeuten keinen Markt, der Investitionen für prioritäre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Pharmakonzerne rechtfertigen würde.“ (Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut). Nach Aussage eines Facharztes in Douala beträgt die Malariainzidenz bei Grundschülern in Kamerun teils 80 %. Laut WHO-Malariareport 2016 hat die Inzidenz in Kamerun zwischen 2010 und 2015 um rund 30 % zugenommen. Die landeseigenen Ausgaben für Malariakontrolle und -bekämpfung liegen in Ghana wie in Kamerun stabil bei fast Null Dollar pro Kopf, die internationalen Mittel wachsen etwas. (WHO-Malariareport 2016, S. 83).
[4] Vogt, Matthias Theodor; Fritzsche, Erik; Meißelbach, Christoph: Ankommen in der deutschen Lebenswelt. Migranten-Enkulturation und regionale Resilienz in der Einen Welt. Europäisches Journal für Minderheitenfragen Vol. 9 No. 1-2 2016. Berliner Wissenschafts-Verlag 2016, S. 66.
[5] Günter Nooke: Universalität der Menschenrechte – Zur Rettung einer Idee, in: Günter Nooke, Georg Lohmann und Gerhard Wahlers (Hrsg.), Gelten Menschenrechte universal?, Freiburg 2008, S. 16 – 46.
[6] Günter Nooke: Religionsfreiheit – ein Menschenrecht im Widerspruch. Anmerkungen aus politischer Perspektive, in: Thomas Brose und Philipp W. Hildmann (Hrsg.), Umstrittene Religionsfreiheit, Zur Diskussion um ein Menschenrecht, Frankfurt a. M. 2016, S. 169-182.
[7] „The transformational development story belongs to the community. It was the community´s story before we came, and it will be the community´s story long after we leave. While our story has something to offer to the community´s story, we must never forget that, at the end of the day, the program is not our story. (…) Forgetting whose story it is means that we further mar the identity of the poor. When we usurp their story, we add to their poverty.” Dabei ist der spirituelle Aspekt entscheidend: “Helping the community tell its own story is critical to understanding its present and its identity as well as getting a glimpse of a possible future. When we take time to listen to its story, we are signaling the community that we think its story is valuable. There is also a need to help the community and us to recognize the activity of God in the story of the community. (…) Recognizing and naming God´s activity in the story is (…) a spiritual act. It is also an act of healing. Asking the community to locate God in its history is a way of helping its members to discover that they are not god-forsaken.” (B. Myers, Walking with the Poor 2011, 207.) (B. Myers, Walking with the Poor. Principles and Practices of transformational development. Maryknoll 2011, 174.)
[8] So stellt z. B: die kleine Publikation des GIZ-Sektorvorhabens Werte, Religion und Entwicklung: Zahlen, Daten, Fakten im Satz 1 auf Seite 1 folgenden Bezug her: „Religiös inspirierte humanitäre Aktivitäten lassen sich in der westlichen Geschichtsschreibung bereits seit dem 15. Jahrhundert nachweisen.” Aber schon das Alte Testament in seinen ältesten Teilen spricht vom Schutz der Armen und der Fremdlinge als Gottes Gebot. Im Judentum heißt es zur Zedaka: „Mehr als der reiche Mann für den Armen tut, tut der Arme für den Reichen.“ Zakat, als eine sehr starke Form von „religiös inspirierten humanitären Aktivitäten“, wiederum ist konstitutiv für die Ausformung des Islam. Der obige Satz müsste dementsprechend lauten: In den drei abrahamitischen Religionen ist Wohltätigkeit gegenüber Armen von Anfang an untrennbar mit dem Dienst an Gott verbunden. Ebenfalls auf Seite 1 heißt es: “Im westlichen Diskurs gehörte die Religion im 18. und 19. Jahrhundert fest zum Konzept der Zivilgesellschaft und prägte die Wertedebatten.” Auch dieser Satz ist, alleine schon mit Blick auf Rousseau 1772 und seine religion civile, problematisch. Er sollte eher lauten: Noch im 18. Jahrhundert erschien eine ohne Religion konstituierte Gesellschaft nicht als vorstellbar; das sollte sich erst im 19. Jahrhundert mit seiner mythisch-nonsäkularen Überhöhung des nationalen Volkskörpers zu einem Religionsersatz nominell, aber eben nicht strukturell ändern. Hier kommt das Böckenförde-Dilemma zutage, das auch in der EZ eine entscheidende, allerdings bislang überwiegend unverstandene Rolle spielt.
[9] Nooke, Günter, Migration und Flucht als Herausforderung der Entwicklungspolitik, erscheint 2018 bei Schöningh, Sammelband Fluchtursachen.
[10] Volker Seitz, 08.03.2018, http://www.achgut.com/artikel/ohne_frauen_bricht_afrikas_wirtschaft_zusammen.
[11] vgl. http://psmnr-swr.org/resources/psmnr-swr-videos bzw. https://www.youtube.com/watch?v=Rp-myBQLXMc
[12] Vgl. zu Militäreinsatz und Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan Wolfgang Bauer: Wir sind besiegt. Die Zeit 07.03.2018. Schluß: „Wir brauchen neue, flexiblere Strukturen. Wir brauchen in Deutschland Ausbildungsstätten für eine neue Generation von Krisenhelfern, die nicht nur Förderrichtlinien vermitteln, sondern Sprache und Kultur. Die DDR hat es vorgemacht. Die Pläne deutscher Außenpolitik sind in Afghanistan weitgehend gescheitert. Dringend brauchen wir neue – doch zuerst brauchen wir Mut: uns das Scheitern einzugestehen.“