Mit einer Gesamtschau des kulturellen Lebens Deutschlands befasst, hat die Enquêtekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages unter Leitung von Frau Gita Connemann MdB am 7. Mai 2005 das Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen beauftragt, das vorliegende Gutachten zu verfassen.
Der Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum kulturellen Leben in Deutschland. Gutachten des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen für die Enquête-Kommission Kultur des Deutschen Bundestages
EK-Kultur, K.-Drs. 15/323b den 19. September 2005
vorgelegt von
Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt
unter Mitarbeit von
Dipl.-Theol. Annette Wiesheu M.A., München
Dipl.-Theol. Lüder Laskowski, Dresden
Dipl.-Theol. Tobias Kirchhof, Leipzig
unter Mitwirkung von
Prof. Dr. Albert-Peter Rethmann, Prag
Pater Dr. Vaclav Umlauf MTh, SJ, München
Harald Baer, Hamm
im Rahmen des Collegium PONTES
Görlitz-Zgorzelec-Zhořelec 2005
Bitte finden Sie hier zum download das Gesamtgutachten Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum kulturellen Leben in Deutschland.
Den christlichen Kirchen in Deutschland gehören 64,9% der Gesamtbevölkerung an.Die meisten unter ihnen gehören den beiden großen Kirchen an (katholische Kirche 26.165.153 Mitglieder, evangelische Kirche 25.836.192 Mitglieder). Ausweislich dieser Statistik besteht kein absoluter, jedoch relativ ein sehr hoher Deckungsgrad zwischen Bevölkerung und Christentum; wie sich im Begräbniswesen zeigt, bestehen Bezüge auch über den Kreis der Kirchenmitglieder hinaus. Trotz Säkularisation und Individualisierung sind die Kirchen prägend wie keine zweite gesellschaftliche Gruppierung für die Kultur in Deutschland.
Zusammen mit den ihnen angegliederten Institutionen, Einrichtungen, Wohlfahrtsverbänden und Unternehmen sind die Kirchen nach dem öffentlichen Dienst der wichtigste Arbeitgeber in Deutschland. 1,3 Millionen Menschen arbeiten hier, fast ebensoviele wie in allen Gemeinden und Gemeindeverbänden zusammen (1,41 Mio). In den rund 80.000 kirchlichen und kirchennahen Einzelunternehmen mit einem Umsatz von € 125 Mia p.a. erbringen sie 6,0 % des Bruttoinlandsprodukts der Bundesrepublik. Ähnlich den anderen öffentlichen Körperschaften sind seit einer Reihe von Jahren finanzielle Schwierigkeiten festzustellen, die Anlaß zu einer Besinnung auf das sog. Kerngeschäft geben. Ob zu diesem auch die Aktivitäten auf kulturellem Gebiet gehören, wird innerkirchlich zunehmend thematisiert.
Die vorliegende Bestandsaufnahme des Beitrags beider Kirchen zum kulturellen Leben Deutschlands ist nur ein erster Schritt für die bislang ausstehende „Inventarisierung“ dieser Probleme.
Der Dienst am Nächsten als wesentlicher Bestandteil eines christlichen Kulturbegriffs entlastet Kommunen und Staat bei der Daseinsvorsorge. So sind beispielsweise 40% aller öffentlichen Bibliotheken Deutschlands in katholischer Trägerschaft; speziell in ländlichen Gebieten mit unzureichend ausgebildeter kultureller Infrastruktur sind die Kirchen oft der wesentliche kulturpolitische Akteur. Auch in der Außenwahrnehmung der Bundesrepublik bildet der Beitrag der Kirchen etwa auf musikalischem Gebiet eine zentrale Größe. Weder Staat noch Kommunen wären in der Lage, diese Fülle aus eigenen Mitteln und mit eigenem Personal zu ersetzen.
Der andere der beiden Vorteile, den speziell der Staat aus dem kulturellen Engagement der Kirchen zieht, betrifft die Essenz der Staatlichkeit und die Bedingungen europäischer Solidarität. Ernst-Wolfgang Böckenförde erinnerte vor nunmehr dreißig Jahren daran, daß der Staat von Voraussetzungen lebt, die er nicht selbst zu schaffen in der Lage ist (siehe Teil I.1 dieses Gutachtens). Im Matthäus-Evangelium heißt es: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Mt 4,4). Gerade in einer vom Konsum bestimmten Gesellschaft sind es transzendente Werte und Ziele, von denen die Mitglieder dieser Gesellschaft leben, ohne es ausdrücklich zu wissen. Sie sind die Quelle der Glaubwürdigkeit der sozialen und politischen Institutionen (vgl. Böckenförde 2005). Der Beitrag der Kirchen zum kulturellen Leben in Deutschland wirkt mit an der Stabilisierung dieser Institutionen weit über den Bereich derer hinaus, die am sonntäglichen Gottesdienst teilnehmen.