Ansatz
Der vom für kulturelle Infrastruktur Sachsen entwickelte Görlitzer Ansatz der Kulturpolitikwissenschaften stellt sich der Komplexität kultureller Phänomene theoretisch, methodisch und strukturell durch eine Interdependenzanalyse von materiellem Substrat und immaterieller Deutungswelt. Eine solche Analyse muß zum ersten den Willen der Gesellschaft ergründen, die den Gegenstand der Analyse – sei es eine Institution, ein Projekt oder ein ganzes Maßnahmenfeld – trägt; insbesondere wo sich dieser Wille in Verfassungs- oder anderen Rechtsnormen und mehr noch in deren historischer Bedingtheit fassen läßt. Sie muß zum zweiten die Zeitgeschichte insoweit darstellen, als sie Vorgaben und Beschränkungen für Arbeit und Wirken des Untersuchungsgegenstandes aufstellt; die longue durée, das lange Fortwirken gesellschaftlicher Grundüberzeugungen, immer im Blick. Sie muß drittens die kulturhistorische Spezifik der einschlägigen Sparte schildern, aus der das Besondere wie das Allgemeine des Objektes hervorgehen. Sie muß viertens in einem ganzen Bündel von Perspektiven und Realdisziplinen die Ist-Situation analysieren. Erst auf all diesen Grundlagen kann sie schließlich fünftens und letztens im einzelnen ausdifferenzierte Vorschläge für einen künftigen Umgang mit dem Gegenstand ihrer Überlegungen machen und etwaige Folgewirkungen der Eingriffe abzuschätzen versuchen.
Von seiten der Wissenschaft bedarf es dementsprechend einer ganzen Palette an Einzeldisziplinen, um dem Anspruch einer kulturpolitikwissenschaftlichen Analyse gerecht zu werden. Es sind dies Staats- und Kommunalrecht mit besonderer Berücksichtigung der Finanzwissenschaften; es ist dies die allgemeine Geschichte und die ihrerseits in vielfältige Disziplinen aufgefächerte Kunst- und Kulturgeschichte; es sind dies die Wirtschaftswissenschaften, an der Spitze die Volkswirtschaft, da jede nur betriebswirtschaftliche Analyse dem Bereich Kunst nicht gerecht wird, gefolgt von der theoretischen Kulturökonomie, dem Kulturmarketing, dem Controlling, dem Projekt- und Personalmanagement; es sind dies Ästhetik und Soziologie, die es jeweils aufeinander zu beziehen gilt und auf deren Gegenstände künstlerische Arbeit und künstlerisches Wirken stets bezogen bleibt.