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15 Jahre IKS

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Meyer
Sächsischer Staatsminister a.D.

Brücken über Grenzen
Festrede zum 15jährigen Bestehen des
Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen
und zur Eröffnung des Collegium PONTES 2009
(Görlitz, 25. August 2009) 

Lassen Sie mich mit einer etwas flapsigen These beginnen: Was immer der Mensch tut, es ist Kultur. Wie er mit der natürlichen Umwelt umgeht, welche Beziehungen er zu seinen Mitmenschen eingeht, was er über sich, über seine Zeit, über die Welt denkt – alles dies und noch einiges mehr ist Kultur. In dieser Omnipräsenz von Kultur, wann immer der Mensch im Spiel ist, liegt ihre überragende Bedeutung. Aus dem Sack von Erinnerungen, der sich bei mir, wie bei jedem, im Lauf des Lebens mit allem Möglichen angefüllt hat, taucht aus den unteren Schichten, aber gleichwohl unvermeidlich, wann immer ich mich über Kultur zu äußern habe, der Satz des Arbeiterschriftstellers Hans Marchwitza auf, welcher lautet: „Kultur ist jeder zweite Herzschlag unseres Lebens.“ Im Foyer des alten Rathauses von Potsdam ist dieser Spruch immer noch zu lesen (hoffe ich jedenfalls). Ich bin gar nicht so ganz sicher, ob es ein rundum gelungenes Bild ist. Denn Marchwitza hätte ja mit nicht weniger Berechtigung sagen können: „Kultur ist jeder Herzschlag unseres Lebens.“ Aber ich will nicht beckmessern. Eindringlich ist sein Wort allemal. Und es gibt Situationen im Leben des Einzelnen wie in der Geschichte eines Volkes, wo das Selbstverständliche eindringlich und auffällig werden muss. Denn in der Selbstverständlichkeit liegt ja die große Gefahr für alles, was allgegenwärtig sein muss, weil es für uns bedeutungsvoll und notwendig ist. Wir achten seiner nicht mehr und glauben, uns um seinen Erhalt nicht sorgen zu müssen. Und wenn sich Inhalt und Umstände unseres Lebens radikal ändern, dann stellt sich die Frage, ob wir rasch genug erkennen, dass Handeln Not tut, und rechtzeitig wissen, was jetzt zu tun ist.In eine solche Situation gerieten wir bald nach 1990 in bezug auf Kultur als Inhalt und  Ausdruck unseres Lebens. Wir mussten uns neu verständigen über unsere Auffassung von Kultur und über ihre institutionellen Voraussetzungen im öffentlichen Leben. Unsere Erfahrungen aus der DDR waren ja ambivalent. Einerseits hatte sich die politische und ideologische Diktatur des gesamten öffentlichen Kulturgeschehens bemächtigt so wie sie die Gesellschaft in all ihren Äußerungsformen zu verstaatlichen suchte. Andererseits liegt es im Wesen literarischen und künstlerischen Schaffens, kreativ und darum auch eigenständig zu sein und sich jeder äußeren Beanspruchung zu entziehen oder zu widersetzen. So entstand in der DDR aus literarischen und künstlerischen Werken und aus den Äußerungen von Schriftstellern und Künstlern so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit. Neben der Eigenwelt der Kirchen und ihrer inneren Freiräume war es das Widerständige und Eigenwillige im kulturellen Leben, aus dem die geistige Vorbereitung des revolutionären Herbstes von 89 erwuchs. Darum mag mir auch der kühne historische Vergleich erlaubt sein, dass man damals im DDR-Alltag genau so erregt über einen Roman, ein Musikstück, ein Bild oder eine Theateraufführung geredet hat, wie aus der Geschichte der alten Kirche berichtet wird, dass bei Ökumenischen Konzilien der Streit um Dogmen auch zum Thema von Marktgesprächen wurde. In der DDR konnten Bücher so zur Bückdichware werden wie andere Dinge des täglichen Bedarfs. Leider gibt es im vereinigten Deutschland nicht wenige Menschen, die, weil sie selbst solche Erfahrungen nicht zu machen brauchten, die Widersprüchlichkeit des kulturellen Lebens in der DDR weder begriffen haben noch begreifen wollen. Für uns warf nach 1990 das Thema Kultur zwei wichtige Fragen auf. Zum einen galt es, jetzt eine inhaltliche Auseinandersetzung darüber zu führen, welchen Stellenwert und welches Gesicht Kultur künftig für uns haben sollte. Dieser Streit war unumgänglich, hatte aber doch einen weiten Horizont. Im Grund ist diese Frage auch heute noch unser Thema. Was jedoch auf den Nägeln brannte und keinen Aufschub zuließ, das war die Frage, wie das Überleben von Strukturen und Institutionen der Kultur zu sichern sei, was freilich auch die Entscheidung einschloss, was davon überleben sollte und überleben konnte. Die DDR hatte zwar die geschichtlich gewachsene Trägerschaft kultureller Institutionen ganz überwiegend unangetastet gelassen, aber deren politische und finanzielle Konsequenzen zentralisiert. So war das Leipziger Gewandhausorchester formal weiterhin ein städtisches Orchester, aber über sein Wohl und Wehe wurde letztlich in Berlin entschieden. Jetzt wurde über Nacht die Kompetenzordnung der Bundesrepublik eingeführt, und die bedeutet, dass die Kulturhoheit bei den Ländern liegt, dass jedoch die meisten kulturellen Institutionen und Angebote in kommunaler Verantwortung stehen. Für Sachsen mit seiner geschichtlich bedingten Vielgestaltigkeit der Trägerschaft hätte das bedeuten können, dass die kulturellen Einrichtungen des Landes, die sich überwiegend in Dresden befinden, überlebt, die kommunalen Kulturinstitutionen jedoch gestorben wären oder vor sich hingekümmert hätten. Uns war klar, dass dies nicht zu verantworten war und dass, wenn man die Dinge treiben ließ, ein politisches Erdbeben die Folge sein könnte.Allerdings hatte der Einigungsvertrag insofern neues deutsches Verfassungsrecht geschaffen, als er ausdrücklich eine Verantwortung des Bundes für den Erhalt der Kultur in den ostdeutschen Ländern feststellte. Das konnte freilich viel und wenig heißen. Daher ist es bis heute eine erinnerungswürdige geschichtliche Leistung, dass Bundeskanzler Helmut Kohl beschloss, für eine bestimmte zeitliche Frist die kulturellen Aufgaben der ostdeutschen Länder und Kommunen mit der stattlichen Summe von 900 Millionen DM jährlich zu unterstützen. Und es bleibt auch ein Verdienst ostdeutscher Künstler, darunter aus Sachsen, ihn davon überzeugt zu haben. Trotzdem war dies eine Entscheidung, die eine große Souveränität des Handelns erforderte, denn sie lief allem zuwider, was bisher auf diesem Gebiet in der Bundesrepublik selbstverständlich war. Sieghardt von Köckritz, damals Leiter der Kulturabteilung im Bundesinnenministerium und hochverdient um die ostdeutsche Kultur, hat mir einmal ironisch erzählt, zu Beginn der schwierigen Gespräche über die Umsetzung der Kanzlerentscheidung im Bundesfinanzministerium hätten sie jedes Mal versichern müssen, nicht sie seien es gewesen, welche die deutsche Einheit herbeigeführt hätten, weder schuldhaft noch fahrlässig, aber da sie nun einmal da sei, brauchten sie nun dringend Geld für die Rettung der Kultur in den neuen Ländern. Über eines konnte allerdings kein Zweifel sein: Die Hilfe des Bundes war zeitlich befristet, und die Uhr tickte.In dieser Situation wurde im Sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst die Idee geboren, eine Art Kulturstrukturkommission zu bilden, um landesweite Lösungskonzepte zu entwickeln. Als Vorbild diente die Sächsische Hochschulstrukturkommission, mit der wir bereits gute Erfahrungen gemacht hatten. Darum war die Kulturkommission auch in ihrem ersten Ansatz institutionenorientiert, d. h. sie sollte sich zunächst nur auf die Theater und Orchester konzentrieren. Nun ist ein politischer Auftrag eine Sache. Und ob er einen politischen Prozess auslöst und was in diesem politischen Prozess entsteht, eine andere Sache. Daher war von weitreichender Bedeutung, dass mit Matthias Theodor Vogt als Sprecher der Kommission jemand gefunden worden war, der konzeptionelle Originalität mit Sinn für politische Kommunikation verband. Davon zeugte schon seine Idee, diese Kommission unter das Namenspatronat des Komponisten und Kapellmeisters Johann Gottlieb Naumann zu stellen, der sich nach dem Hubertusburger Frieden von 1763 im ausgeplünderten Sachsen um das Musikleben reformerisch verdient gemacht hatte. Dass damals in Dresden auch die Oper geschlossen wurde, verschwieg er klugerweise. Entscheidend war, dass die maßgeblich von Vogt entwickelte Idee der Kulturräume einerseits flexibel genug war, um auf jede Art von kultureller Aktivität angewendet zu werden, und dass sie andererseits an vorhandene regionale Interessen und Traditionen anknüpfte. Als daher Landtagsabgeordnete und Landräte die grundsätzliche Einbeziehung aller kulturellen Institutionen und Aufgaben von nicht nur lokaler Bedeutung in die Förderung durch den jeweiligen Kulturraum forderten, war es möglich, einen politischen Konsens im Rahmen des Kulturraumkonzepts zu finden. Dass zu diesem Zeitpunkt auch der Finanzminister zu einer substantiellen finanziellen Zusage bereit war, ebnete dann endgültig den Weg zum großen politischen Konsens. Dabei scheint Georg Milbradt als ehemaligen Münsteraner Stadtkämmerer auch zur Zustimmung bewogen zu haben, dass er Parallelen zwischen den sächsischen Kulturräumen und den nordrhein-westfälischen Landschaftsverbänden sah. Zugleich versprach er sich wohl für die Zukunft einen erheblichen Fusions- und Einsparungseffekt. Aber noch lebte Sachsen nach den grundlegenden Reformen der ersten Legislaturperiode im Hochgefühl des für die nächste Zeit erhofften großen Aufschwungs. Zu dieser Atmosphäre trug das mit großer Zustimmung aus allen Fraktionen am 17. Dezember 1993 beschlossene Kulturraumgesetz in nicht geringem Maße bei. Es galt und gilt in Deutschland als kulturpolitisches Meisterstück aus Sachsen. Und mit Recht wurde Matthias Theodor Vogt als Architekt des ihm zugrundeliegenden Konzepts gefeiert.

Gleichwohl war allen Beteiligten klar, dass sich das Gesetz im Minenfeld zwischen landespolitischer und kommunalpolitischer Verantwortung bewegte und daher zu Konflikten führen konnte. Nachdem die Naumann-Kommission ihre Arbeit abgeschlossen hatte, war Matthias Theodor Vogt als Koordinator für die ja erst noch zu schaffenden Kulturräume tätig gewesen. Bald gab es aber die Kulturräume als Strukturen der kommunalen Selbstverwaltung, und die Mitwirkung des Landes konnte, wie stets in solchen Fällen gemeinsamen Handelns, nur über den Einsatz der dafür vom Landtag beschlossenen Finanzmittel erfolgen. Dafür musste jedoch das Ministerium politisch gerade stehen. Andererseits war unbestreitbar, dass sich das Gesetz in der Praxis erst zu bewähren hatte. Es war zu erwarten, dass sich für den dabei notwendigen Dialog, um nicht zu sagen: Streit der politischen Kompetenzträger, also des Landes und der Kulturräume, die Mitwirkung eines fachlichen Kompetenzträgers als hilfreich und wertvoll erweisen würde. Das waren die Überlegungen, die zur Gründung des Instituts für kulturelle Infrastruktur führten, dessen 15jähriges Jubiläum wir heute feiern.

Das Institut war gedacht als ein Ort des Forschens und Analysierens sowie als Ansprechpartner für Ratsuchende und als Auftragnehmer für Untersuchungen und Empfehlungen. Weiterhin war es seine Aufgabe, in Verbindung mit einer Hochschule, aber auch in Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen seine Expertise in die akademische Lehre einbringen. Für die zu erwartenden kulturpolitischen Debatten sollte es so die angemessene argumentative Qualität ermöglichen und solche Debatten zugleich anregen und befördern. Anders gesagt: Der Sinn dieses Instituts war es, im kulturpolitischem Dialog Sachsens als ein wissenschaftlicher und also unabhängiger Partner zu agieren. Dafür empfahl sich die feste Zuordnung zu einer Hochschule, aber doch mit einem so eigenständigen Status, dass es öffentlich sichtbar werden konnte. Für alle diese Zwecke, die hier in neuartiger Weise zusammen kamen, galt es, einen geeigneten Namen zu finden. Die Bezeichnung „Institut für kulturelle Infrastruktur“ bot sich dafür an, denn dieser Begriff war durch Art. 35 Abs. 7 des Einigungsvertrages bereits etabliert. Nicht zuletzt hatte dessen praktische Umsetzung  demonstriert, dass es um die Förderung von günstigen Bedingungen für Kultur, nicht aber um die inhaltliche Einflussnahme auf Kultur ging. Kulturelle Infrastruktur meint die notwendige Voraussetzung von Kultur. Dass jemand, der sich wissenschaftlich mit kultureller Infrastruktur beschäftigt, darum nicht zum kulturellen Eunuchentum verpflichtet werden kann, liegt in der Natur der Sache und ergibt sich nicht zuletzt aus der Freiheit der Wissenschaft. Jedenfalls sollte das neue Institut kein Sächsisches Staatsinstitut für Kulturpolitik sein. Etwas anderes ist es, wenn Matthias Theodor Vogt den Charakter seiner Arbeit als Kulturpolitikwissenschaft versteht. Das trifft, trotz begrifflicher Überlänge, den Kern dessen, was mit dem wissenschaftlichen Gebiet „Kulturelle Infrastruktur“ gemeint ist.Wer sich die Leistungen des Instituts seit seinem faktischen Arbeitsbeginn im November 1995 betrachtet, muss beeindruckt sein von dem, was aus diesem innovativen, aber damit zugleich auch ungewissen und erst noch in die Realität umzusetzenden Programm geworden ist. Diese Leistung verdient um so mehr Respekt, als, wie ich nicht vergessen will, zu sagen, die Gründungs- und Entstehungsphase des Instituts in eine ganz unvermutet über uns hereinbrechende Einsparpolitik zu Beginn der zweiten Legislaturperiode hineinfiel. Ich will den Streit von damals hier nicht wieder lebendig werden lassen, sondern nur an die alte menschliche Erfahrung erinnern, dass, wenn das Geld knapp und die Zahl der Stellen geringer wird, sich jeder bald selbst der Nächste ist und seine Taschen zunäht. In diesem Kontext sind die Leistungen um so imponierender. Und wenn jetzt wohl auch keiner von mir erwartet, dass ich hier eine Art Bericht über 15 Jahre Tätigkeit vortrage, (schließlich ist das alles gedruckt und kann nachgelesen werden) so will ich doch einiges hervorheben. Schon 1997 gelang es, die europaweit erste grundständige akademische Ausbildung zum Kulturökonomen zu schaffen, und zwar mit einer internationalen Studentenschaft. 2001 folgte die Mitwirkung des Instituts an einem zweijährigen weiterführenden Magisterstudiengang der TU Dresden und bald darauf der Beginn der Arbeit an einem europäischen Netzwerk unterschiedlicher Studiengänge auf diesem Gebiet. Von Bedeutung für die grenzüberschreitende Ausstrahlung des Instituts sind die seit 2003 durchgeführten Internationalen Sommerschulen. Vorbereitet und begleitet wurde der Einsatz in der Lehre von Forschungsaktivitäten, von denen ich für die ersten Jahre das Projekt „Die Transformationsprozesse im Kulturbereich mittel- und ostmitteleuropäischer Städte im Hinblick auf das Dritte System“ und das Projekt „Kultur und Wirtschaft im ländlichen Raum. Das Beispiel Mittelsachsen“ erwähnen will. Dazu kam eine Fülle von Tagungen, die vom Institut ausgerichtet wurden oder an denen es beteiligt war. Sie zeugen von den rasch wachsenden internationalen Kontakten und Kooperationen des Instituts. Das steigende Ansehen des Instituts in Deutschland zeigte im Jahre 2005 das Forschungsprojekt „Der Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum kulturellen Leben in Deutschland“, denn dieses entstand ja im Zusammenhang mit der Arbeit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Lage der Kultur und mit deren bahnbrechenden und, wie ich hoffen will, nachhaltigen Bericht.Was sich an der Entwicklung des Instituts geradezu exemplarisch zeigen lässt, das ist die fördernde und herausfordernde Wirkung, die vom Charakter eines Standortes ausgehen kann. Ich will hierfür die Weisheit der ministeriellen Entscheidung, dass Institut in Görlitz an der Hochschule für Technik und Wirtschaft anzusiedeln, nur sehr begrenzt in Anspruch nehmen. Primär war die Standortentscheidung nämlich negativ motiviert, konkret gesagt: es sollte keine der drei großen sächsischen Städte und schon gar nicht die Landeshauptstadt sein, weil dies ohnehin schon vorhandene antizentralistische Vorurteile in den  Kulturräumen nur verstärken konnte. Zwar sahen wir auch, dass die Stadt  Görlitz, die ja, halb biblisch gesprochen, nicht die geringste unter den Fürstenstädten Sachsens ist, für das Institut kulturell ein guter Ort wäre. Aber was Matthias Theodor Vogt für das Institut aus dem genius loci gewonnen hat, ist eindrucksvoll. Schon in den ersten Jahren des Bestehens kam es zu bemerkenswerten Kunstprojekten mit europäischen und internationalen Partnern, zu denen auch die Performance „Kunstbrücke Görlitz / Zgorzelec“ zählte. Damit klang schon früh ein Gedanke an, der dann, im Zusammenhang mit der systematischen Arbeit an einem hochkarätigem Netzwerk und über das Experiment mit dem Bridges College Görlitz / Zgorzelec zu einer bemerkenswerten Gründung führte, dessen Eröffnung für das Jahr 2009 wir heute ebenfalls feiern, nämlich des Collegium Pontes.Zunächst einmal begrüße ich, wiewohl Anglist, ganz ausdrücklich den Übergang vom globalesischen Englisch zum alteuropäischen Latein, obwohl die Art, wie die beiden Substantive „collegium“ und „pontes“ verbunden wurden, für diese Sprache etwas ungewöhnlich ist. Ob nun aber „Brücke“, „bridges“ oder „pontes“, in jedem Falle wurde hier eine Metapher kreiert, die etwas Wesentliches über Kultur aussagt: Dass nämlich Kultur eine Brücke über Grenzen ist, über die Grenzen zwischen gestern und heute, zwischen heute und morgen, zwischen unserem Leben vor 89/90 und unserem Leben danach, zwischen den durch viele bittere Erfahrungen immer noch getrennten Völkern Europas, zwischen den beiden Städten Görlitz und Zgorzelec, die zu neuer und jetzt europäischer Gemeinsamkeit zusammenfinden. Das Bild von der Brücke erinnert nicht zuletzt an die mannigfaltigen Verbindungen zwischen dem Institut und vielen in Europa, die sich für Kultur engagieren, die über Kultur wissenschaftlich arbeiten, die Kultur durch ihr Schaffen lebendig werden lassen. Für diesen Brückenbau hat Matthias Theodor Vogt bekannte und eindrucksvolle Namen gewonnen – prominente Politiker, ausgewiesene Wissenschaftler, originelle Köpfe. Nicht zuletzt gelang eine breite Vielfalt von Veranstaltungen und Themen – vielleicht ein wenig zu breit, denn zu einer Brücke gehören ja auch feste Fundamente. Freilich: wenn der Brückenschlag über Grenzen nur punktuell erfolgt, ist er auch gefährdet. Jedenfalls ist Vogt der Gefahr provinzieller Verengung nicht erlegen, was allerdings auch nicht zu befürchten war.Denn man muss wohl – wie er – ein Grenzgänger zwischen Kunst, Politik und Wissenschaft, zwischen Transdisziplinarität und cross-over sein, mit einer unverkennbaren Lust zum Abenteuer, um mit einer institutionell wie finanziell so schmalen Basis einen solchen Wirbelwind von Wirkung zu erzeugen. Matthias Theodor Vogt – oder MTV, wie er sich gern schon nennen ließ, bevor ein gewisser Sender auf der Mattscheibe erschien – ist ein wagemutiger Netzwerker und ein unerschrockener Seiteneinsteiger bei sehr unterschiedlichen Diskursgemeinschaften, stets irgendwohin unterwegs. Was ihn vor allem auszeichnet, ist die seltene Kombination unterschiedlicher Gaben. „Der versteht nicht nur etwas von Kultur, sondern der kann auch rechnen,“ sagte anerkennend schon früh Georg Milbradt in einem der eher seltenen Momente guten Einvernehmens zwischen dem Finanzminister und dem Kunst- und Wissenschaftsminister. Wobei ich mit dieser Reminiszenz nicht missverstanden werden möchte: Wenn es nicht gerade um die Interessen unserer Häuser ging, sondern um den Blick auf die Welt und die Menschen, waren Milbradt und ich oft einer Meinung.Ein gutes Beispiel dafür, wie recht Milbradt mit seinem Diktum hat, ist Vogts kulturpolitikwissenschaftliche Analyse des Sorbischen National-Ensembles, welche ein weites Spektrum entfaltet ausgehend von einem höchst aufschlussreichen kulturgeschichtlichen Rückblick über kenntnisreiche Aussagen zur Ästhetik der Volkskunst unter staatssozialistischen Bedingungen bis hin zu soliden Struktur- und Haushaltsüberlegungen. Ob der Auftraggeber das alles wissen wollte und dann nicht nur selektiv verstanden hat, frage ich mich zwar im Blick auf meine Erfahrungen mit dem Leseverstehen von Politikern und Beamten. Aber ich habe diese Publikation mit wirklicher Anteilnahme und unbestreitbarem Gewinn gelesen.Vogts berufliches Interesse galt von Anfang an der Wissenschaft. Und er hat die Chance des Instituts genutzt, um sich durch Veröffentlichungen, auf Tagungen und nicht zuletzt als akademischer Lehrer in der Wissenschaft auszuweisen. Gleichwohl steckt immer noch etwas von dem Regisseur in ihm, als der er einmal angetreten ist. Ein Regisseur ist, jedenfalls nach meinem Verständnis, jemand, der zwischen dem Stück, das er inszenieren will, und der Wirklichkeit eine bemerkenswerte Beziehung entdeckt. Und der dann, auf der Bühne, durch Bilder und Handlungen eine Wirklichkeit herstellt, durch die das Publikum diese Beziehung erkennen und anerkennen soll. Das ist natürlich immer ein Wagnis. Zur Wirkung auf ein Publikum führen viele Wege – die seelische Erschütterung, die Provokation, die didaktisch gemeinte Verfremdung, nicht zuletzt die ironische Verführung. Matthias Theodor Vogts Selbstdarstellung offenbart gelegentlich eine innere Neigung, sich dafür letzterer zu bedienen: Der weiße Schal bei der Präsentation der Ergebnisse der Naumann-Kommission im Freiberger Theater, die muntere und flexibel agierende Gliederfigur als Logo auf den Publikationen seines Instituts, das Motto „Ars Saxoniae Vigilans“, das jeden in Sachsen Geborenen oder mit diesem Land Vertrauten an die sächsische Selbstcharakteristik als „vigilant“ erinnert – das alles zeugt von einem Mut zur Farbe, der in den deutschen Geistes- und Kulturwissenschaften nicht eben häufig ist. Einen Hingucker produziert dies allemal. Und die Aufmerksamkeit des Publikums zu wecken, ist, wie im englischen Sprachraum auch die akademische Rhetorik weiß, nicht nur legitim, sondern notwendig.Ich wünsche Prof. Matthias Theodor Vogt, dem Institut für kulturelle Infrastruktur und seiner Brücke nach Europa, dem Collegium Pontes, noch viele erfolgreiche Jahre und noch viele zu feiernde Jubiläen.